Cannabis und Stillen – Informationen zur aktuellen Debatte
Anlage zum EISL-Newsletter April 2024
Das wichtigste in Kürze:
- Der Anteil an Schwangeren und Stillenden, die Cannabis/THC konsumieren, steigt in den letzten Jahren weltweit an
- THC geht sowohl über die Plazenta als auch über die Muttermilch auf das Kind über und verbleibt für einen deutlich längeren Zeitraum im Körper der Mutter als beispielsweise Nikotin oder Alkohol
- Langzeitstudien über die Auswirkungen auf das exponierte Kind stehen noch aus, es zeigt sich aber in ersten Untersuchungen, dass Cannabiskonsum sich negativ auf die motorische und psychische Entwicklung von Föten, Neugeborenen und Kindern auswirkt
- Nach derzeitigem Sachstand wird von Cannabiskonsum in Schwangerschaft und Stillzeit klar abgeraten, auch eine Passiv-Exposition über den Rauch ist unbedingt zu vermeiden
Im Zuge der Gesetzesänderungen rund den Besitz und Konsum von Cannabis in Deutschland ist eine breite öffentliche Debatte entstanden. Die aktuell vom Bundestag verabschiedete Version des Cannabisgesetzes können Sie → hier nachlesen.
Im Kontext der Stillberatung stellt sich immer wieder die Frage, ob und inwiefern Cannabiskonsum für Schwangere und Stillende problematisch ist oder nicht. Wir fassen für Sie den aktuellen Stand des Wissens zusammen und stellen Ihnen internationale Empfehlungen und Studien vor.
Grundsätzlich sind sich alle Quellen einig: es ist sinnvoll und ratsam, dass Schwangere und Stillende vollständig auf den Genuß von Cannabis verzichten. Anders als Alkohol und Tabak/Nikotin verbleibt Cannabis bzw. der Wirkstoff THC für einen deutlich längeren Zeitraum im Körper (je nach Studie und Konsum-Intensität zwischen 6 Tagen und mehreren Wochen). Sowohl über die Plazenta als auch über die Muttermilch findet eine Übertragung statt und kann sich bei wiederholtem Konsum auch im Kind anreichern.
Mehrere Studien haben ergeben, dass die Anzahl von Frauen, die weltweit in der Schwangerschaft und/oder Stillzeit Cannabis konsumieren, in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. In einigen Fällen beenden Frauen in der Schwangerschaft das Rauchen von Tabak/Nikotin und den Genuß von Alkohol, weil sie über die schädlichen Auswirkungen auf ihr Baby informiert sind, nehmen aber fälschlicherweise an, Cannabiskonsum hätte keine oder deutlich weniger negative Auswirkungen auf das Kind. Teilweise wird Cannabiskonsum sogar als Behandlungsoption gegen Schwangerschaftsübelkeit empfohlen.
Derzeit gibt es noch keine Langzeit-Untersuchungen über die Auswirkungen von Cannabis-/THC-Konsum während der Schwangerschaft und Stillzeit auf die exponierten Kinder. Erste Daten zeigen jedoch folgendes Bild:
- Cannabiskonsum während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für Frühgeburtlichkeit, Mangelwachstum im Mutterleib und die Notwendigkeit, das Neugeborene auf einer neonatologischen Intensivstation aufzunehmen
- Cannabiskonsum in Schwangerschaft und Stillzeit erhöht das Risiko für eine verzögerte motorische Entwicklung des Kindes, das Risiko für den plötzlichen Kindstod (SIDS), das Risiko für kindliche Schlafstörungen sowie das Risiko für ADHS und Verhaltensstörungen
- In Familien mit intensivem Konsumverhalten kann es durch das veränderte Verhalten der Eltern und die fehlende Fähigkeit, verlässlich adäquat und feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes zu reagieren, auch zu Gedeihstörungen und körperlicher Gewalt oder Missbrauch kommen
Interessant: Cannabis verändert offenbar auch die Zusammensetzung der Muttermilch, so ist bereits bekannt, dass durch Cannabiskonsum der sIga-Spiegel sinkt, wohingegen der Lactose-Spiegel steigt.
Neben der Tatsache, dass THC über Plazenta und Muttermilch an das Kind weitergegeben wird, besteht auch Anlass zur Sorge, wenn Kinder dem Rauch der Cannabispflanzen ausgesetzt sind (z.B. auch durch andere Familienmitglieder als die Mutter). Marihuana-Rauch hat dabei möglicherweise sogar schwerwiegendere Auswirkungen als Nikotin-Rauch, so dass eine Exposition unbedingt vermieden werden sollte.
Trotz der Empfehlung, während der Stillzeit Cannabis nicht zu konsumieren, sollte umgekehrt einer Frau, die in der Stillzeit nicht darauf verzichten kann, nicht zum Abstillen geraten werden – sofern sie keine weiteren Drogen konsumiert. Ähnlich wie bei der Beratung von nikotinabhängigen Frauen sollte der Cannabiskonsum so weit als möglich reduziert werden und ergänzend jede zusätzliche Form der Exposition des Kindes vermieden werden (keinesfalls in der Wohnung Marihuana rauchen; nach dem Rauchen die Kleidung wechseln und Gesicht und Hände waschen; Oberflächen und Gegenstände, die mit Cannabis in Berührung kommen, nicht in die Nähe des Kindes gelangen lassen etc.).
Für die Untersuchung der Auswirkungen von Cannabis ergeben sich besondere Schwierigkeiten: Sehr häufig wird Cannabis nicht als alleinige Droge, sondern ergänzend zu Tabak/Nikotin, Alkohol und weiteren Substanzen eingenommen. Suchterkrankungen sind in vielen Gesellschaften mit weiteren Faktoren wie einem niedrigen sozio-ökonomischen Status und einem niedrigen Bildungsgrad verknüpft. Die Differenzierung zwischen den konkreten Auswirkungen von isoliertem Cannabis/THC und den weiteren Faktoren ist daher nicht immer einfach – weitere Studien der nächsten Jahre werden sicher mehr Erkenntnisse erbringen.
Einen guten Überblick über den Stand des Wissens bieten folgende Studien und Artikel:
Für Eltern gibt es eine gute → Broschüre unter der Überschrift "Tipps für Frauen, denen das Aufhören schwer fällt" von der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelgebrauchs, die in gedruckter Form bestellt oder kostenlos als PDF heruntergeladen werden kann.
Eine weitere Broschüre der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. geht ausführlich auf alle Fragen ein, die sich für eine drogenkonsumierende Schwangere stellen: will ich das Baby überhaupt behalten? Soll ich sofort den Konsum beenden? Wie geht es nach der Geburt weiter? Welche Herausforderungen bringt ein Baby mit sich? Die Broschüre → Du bist schwanger... und nimmst Drogen? ist in gedruckter Form oder kostenlos als PDF zum Download erhältlich.
© April 2024, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC