Hautkontakt im Säuglingsalter beeinflusst Sozialverhalten und Gehirnentwicklung bis ins Erwachsenenalter
Anlage zum EISL-Newsletter April 2021
Synchronous caregiving from birth to adulthood tunes humans’ social brain
Adi Ulmer Yaniv, Roy Salomon, Shani Waidergoren, Ortal Shimon-Raz, Amir Djalovski and Ruth Feldman. PNAS April 6, 2021 118 (14) e2012900118, DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2012900118
Wie bedeutsam intensiver Hautkontakt für ein Neugeborenes ist, wurde bereits in vielen Studien belegt. Zu den unmittelbaren Auswirkungen gehört die Stimulation angeborener Reflexe, die das Kind selbständig zur Brust finden lassen, sowie Effekte auf die Anpassungsleistung nach der Geburt (Atmung, Kreislauf, Blutzucker, Temperatur). Auch auf den Bindungsaufbau, den weiteren Verlauf des Stillens und auf die Gehirnentwicklung im Säuglingsalter wurden bereits Auswirkungen nachgewiesen.
Alle diese Effekte gelten sowohl für frühgeborene als auch für reifgeborene Kinder und sowohl für vaginal geborene als auch per Sectio geborene Säuglinge.
Mehr zu diesem Thema können Sie bei unseren beiden Artikeln aus den letzten Jahren lesen:
→ Die Bedeutung des direkten Hautkontakts für ALLE Neugeborenen (12/2019)
→ Positive Auswirkungen des ausgedehnten Hautkontakts auf Reifgeborene (5/2020)
Bisher wurden vor allem die Auswirkungen des Hautkontakts auf die ersten Stunden und Tage und die frühe Kindheit untersucht. Eine aktuelle Studie zeigt nun erstmals die Bedeutung des Hautkontakts über einen Zeitraum von 20 Jahren bis ins Erwachsenenalter hinein.
Das israelische Forschungsteam begleitete 96 Kinder, die zwischen 1996 und 1999 geboren wurden und in drei Gruppen eingeteilt waren: Die Kontrollgruppe bestand aus gesunden Reifgeborenen, zwei weitere Gruppen aus Frühgeborenen – im einen Fall mit Kangaroo-Care und somit regelmäßigem Hautkontakt betreut, im anderen Fall mit klassischer Inkubatorbetreuung. Die Mutter-Kind-Paare wurden im Kleinkindalter, im Vorschulalter, in der Pubertät und als junge Erwachsene bei der Interaktion auf Video aufgenommen. Außerdem wurde im Erwachsenenalter ein umfassendes Gehirn-MRT durchgeführt, die sich auf die dem Sozialverhalten zugeordnete Gehirnregionen fokussierte.
Die feinfühlige Kommunikation und Interaktion zwischen Mutter und Kind war im Kleinkindalter für die Gruppe der reifgeborenen Kinder einfacher als für die beiden Gruppen der frühgeborenen Kinder, wobei die Gruppe mit Kangaroo-Care bessere Werte erzielte als die Gruppe ohne Hautkontakt.
Mit zunehmendem Alter näherten sich jedoch die ehemals frühgeborenen Mutter-Kind-Paare mit Hautkontakt mehr und mehr dem Muster an, das sich bei den reifgeborenen Kindern zeigte und im Erwachsenenalter war kein Unterschied mehr festzustellen. Der frühe Hautkontakt hatte über die grundlegende Veränderung im Bindungsverhalten und die daraus folgende Mutter-Kind-Interaktion über die Jahre die anfängliche Benachteiligung ausgeglichen. Für die Gruppe ehemaliger Frühgeborener hingegen, die ohne intensiven Hautkontakt in den ersten Wochen und Monaten betreut worden waren, blieb bis Erwachsenenalter die feinfühlige und non-verbale Kommunikation zwischen Mutter und Kind schwieriger.
Die bildgebenden Verfahren im Erwachsenenalter untersuchten die Gehirnregionen, die beim Abrufen von Empathie aktiv werden. Außerdem wurden standardisierte psychologische Tests zum Sozialverhalten und Empathie durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Auswirkungen des Hautkontakts und der darauf aufbauenden Mutter-Kind-Beziehung sich auch in der Sensitivität bestimmter Hirnregionen spiegelte, wobei hier die Gruppenzugehörigkeit keine so bedeutsame Rolle mehr spielte.
Die Studie ist frei zugänglich (englisch) → hier nachzulesen.
© April 2021, Anja Bier (IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC