Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Nachlese "Muttermilch und stillen für kranke Kinder und Kinder mit Handicap"

Fachtagung für Fachpersonen und weitere Interessierte vom 17.01.2020 in Bern

56 Fachpersonen, Still- und Laktationsberaterinnen, Hebammen, Pflegefachfrauen der Kinderspitex, der Wochenbettpflege und der Neonatologie sowie Mütter-Väter-Beraterinnen und Mitarbeiterinnen der RoKi, Kinderbetreuung zu Hause des Roten Kreuzes, nahmen an der ersten, gemeinsam vom Berufsverband Schweizerischer Still- und Laktationsberaterinnen BSS und dem Europäischen Institut für Stillen und Laktation EISL durchgeführten Fachtagung in der UniS in Bern teil.

Dr. Damian Hutter, Pädiater und Kinderkardiologe aus Bern, eröffnete die Tagung mit dem Blick auf die Kinderintensivmedizin. Er sprach über die Herausforderungen beim Lebensstart bei Kindern mit einem Handicap und darüber, welche Entwicklung es brauchte, um die Erwachsenenintensivmedizin auf die Bedürfnisse und Besonderheiten von Säuglingen und Kindern anzupassen und auszurichten.

Mutters eigene Milch, Mothers own Milk, als Superfood und als Goldstandard in der Ernährung von vulnerablen Säuglingen, darüber referierte Prof. h.c. Silvia Honigmann, Dozentin der Berner Fachhochschule, Stillberaterin IBCLC und Ernährungsberaterin SVDE. Anschaulich zeigte sie in ihrem Referat die Bedeutung der Frauenmilch für vulnerable Säuglinge auf. Die in der menschlichen Milch enthaltenen Proteine, Fette, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Spurenelemente, Vitamine, bio-aktiven Substanzen, Wachstumsfaktoren und Hormone sowie die antioxidativen Eigenschaften der Muttermilch sind von unschätzbarem, gesundheitsförderndem Wert. Zunehmend wird auch gespendete Muttermilch aus Frauenmilchbanken verabreicht. Frau Honigmann schloss ihren Vortrag mit der Botschaft, dass das direkte Stillen als erste Methode der oralen Ernährung gefördert werden soll, im Bewusstsein des Benefits des Stillens für die Gesundheit von Mutter und Kind.

Verabreichung von Muttermilch ist nicht stillen – was kranke Kinder zur Bindungsförderung zusätzlich brauchen, lautete das Thema, zu dem Dr. Urs Zimmermann, Pädiater und Neonatologe aus Bülach, referierte. Er sprach über das wunderbare Hormon Oxytocin, welches auch als Neurotransmitter fungiert und massgeblich soziale Interaktionen beeinflusst. Weiter zeigte er auf, welche kontinuierliche, repetitive, starke, taktile und mentale Stimulation Mutter und Kind durch Hautkontakt und Saugen erfahren können. Abschliessend appellierte er an die anwesenden Fachpersonen, jegliche Möglichkeiten in der täglichen Arbeit mit Mutter und Kind zu nutzen, um Feinfühligkeit zu vermitteln und dadurch die Bindung zwischen Mutter und Kind zu fördern und zu stärken.

Margrit Hagen, Hebamme FH und Stillberaterin IBCLC im Inselspital in Bern, sprach in ihrem Referat über die praktische Handhabung der Muttermilchernährung, unter dem Titel Muttermilch gewinnen, aufbewahren, transportieren, verabreichen. Von der präpartalen Kolostrumgewinnung, über die verschiedenen Methoden Muttermilch abzupumpen, die Transport- und Aufbewahrungsmöglichkeiten bis hin zur Verabreichung veranschaulichte sie in verständlicher Art die vielseitigen Vorgehensweisen. Alle Anstrengungen haben stets das Ziel, dem Kind zu ermöglichen, mit der Milch seiner eigenen Mutter ernährt werden zu können, wenn vielleicht auch nur teilweise. Jeder Tropfen ist wertvoll.

Nach dem Mittagessen referierte Dr. Hutter über Herausforderungen bei der Ernährung von kranken Kindern und Kindern mit Handicap. Er sprach darüber, wie unterschiedlich Ernährungsverhalten sein kann und wie individuell Gewichtsentwicklung verlaufen kann. Dabei machte er deutlich, dass eine Gedeihstörung stets lediglich das Symptom ist, dessen unterschiedlichen Ursachen, z.B. Resorptionsstörungen, Mangelerkrankungen etc. in jedem einzelnen Fall sorgfältig auf den Grund gegangen werden muss.

Frau Netty Fabian, Pflegefachfrau Bsc und Co-Präsidentin des Vereins Kind+Spital sprach zum Thema Das kranke, gestillte Kind im Spital – Bedürfnisse – Rechte – Herausforderungen. Der Verein Kind+Spital setzt sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen im Gesundheitswesen ein, unabhängig ihres Alters und Ihrer Grunderkrankung. Grundlage der Arbeit sind die zehn Punkte der EACH Charta für Kinder im Spital, die 1988 von zwölf europäischen Kind+Spital-Organisationen verabschiedet wurde und die auch die Schweiz unterzeichnet hat. Frau Fabian erläuterte die Inhalte dieser Charta und motivierte uns Fachpersonen, unsererseits die Eltern zu ermuntern und zu bestärken für die Rechte ihrer Kinder im Gesundheitswesen einzustehen. Sie Schloss ihr Referat mit dem Tipp, sich bei Unzufriedenheit an die Qualitätsverantwortlichen der jeweiligen Institutionen zu wenden, denn alle Institutionen sind bestrebt, ihre Qualität stetig zu verbessern.

Welche Herausforderungen es zu bewältigen gilt, wenn das kranke, gestillte Kind zu Hause ist, erzählte Marianne Reber, Pflegefachfrau HF und Stillberaterin IBCLC, in ihrem Referat. Mit Fotos gab sie uns Einblick in ihren Alltag, der in den ersten Lebensmonaten ihrer Tochter geprägt war von vielen Handicaps. Nach einem schweren Start ins Leben konnte diese nicht an der Brust saugen, sondern wurde mit abgepumpter Milch mit der Sonde ernährt. Vitalzeichen mussten überwacht, Mengen berechnet, Medikamente verabreicht und Sonden neu gelegt werden. Immer wieder galt es, Krisen durchzustehen und irgendwie durch die Tage und Nächte zu kommen und dies alles in einem Alltag mit vier weiteren Kindern… beeindruckend.

Zum Abschluss der Tagung liess uns Caroline Bolliger, Pflegefachfrau, in ihrem Erfahrungsbericht teilhaben an ihrer Stillgeschichte mit der Herzoperation mit Spitalaufenthalt ihrer Tochter. Dank der positiven Stillerfahrung bei ihrem ersten Kind hatte sie die Motivation und die Kraft, sich immer wieder für die Muttermilchernährung und das Stillen ihres herzkranken Kindes einzusetzen, um nicht zu sagen, zu kämpfen. Nach der Herzoperation im Alter von 4 Monaten und nach einer Stillpause von fast vier Tagen, in denen ihr Mädchen auf der Intensivstation betreut werden musste, fanden sie schrittweise zurück zum Stillen. Auch wenn Phasen zögerlicher Gewichtszunahme und geringerer Milchproduktion folgten, so machte das Stillen doch einen grossen Teil der Ernährung in den ersten zehn Lebensmonate ihrer Tochter aus und darauf darf sie, da waren sich alle Teilnehmerinnen am Ende dieses Tages einig, zu Recht stolz sein.

Bereichert mit Wissen, erfüllt von vielen Eindrücken, erfreut vom Austausch und den Begegnungen mit Kolleginnen und motiviert, das Gehörte in den eigenen Arbeitsalltag einfliessen zu lassen, machte ich mich nach dieser Fachtagung zufrieden auf den Heimweg.

Therese Röthlisberger, Stillberaterin IBCLC, Pflegefachfrau HF, Mitarbeiterin EISL