Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Neue WHO-Empfehlungen zur Pflege und Betreuung von Frühgeborenen

Anlage zum EISL-Newsletter Januar 2023

WHO recommendations for care of the preterm or low birth weight infant
Geneva: World Health Organization; 2022. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO. ISBN: 978-92-4-005826-2

Das wichtigste in Kürze:

  • Weltweit werden rund 15 Millionen Säuglinge jedes Jahr zu früh geboren. In vielen Ländern stellt dies ein enormes Risiko für eine erhöhte Sterblichkeit oder lebenslange Beeinträchtigungen dar
  • Die WHO hat aktuelle Empfehlungen veröffentlicht, die das Überleben, die Gesundheit und das gute Gedeihen von Frühgeborenen sichern sollen – häufig handelt es sich um relativ einfache, kostengünstige Maßnahmen, die überall gut umgesetzt werden könnten
  • Auch wenn in Industrieländern die gesundheitlichen Risiken einer Frühgeburt geringer sind als im weltweiten Vergleich, gibt es doch auch hier noch viel Verbesserungspotential: die Selbstverständlichkeit von frühem Bonding und intensivem Hautkontakt darf ebenso noch optimiert werden wie die umfassende und ausschließliche Versorgung mit Mutter- bzw. Frauenmilch

Weltweit stellt die Frühgeburtlichkeit das größte Mortalitätsrisiko für Kinder unter 5 Jahren dar – rund 1 Million Kinder versterben jährlich daran. Nach Schätzungen der WHO könnten rund 3/4 dieser Tode durch einfache, kostengünstige Maßnahmen verhindert werden.
Auch wenn in Industrieländern heute die meisten Frühgeborenen gesund überleben und aufwachsen können, stellt auch hier eine Frühgeburtlichkeit noch immer ein Risiko dar, langfristige Beeinträchtigungen davonzutragen oder schwere Komplikationen (z.B. NEC) zu erleben. Auch bei uns könnten manche der einfachen und kostengünstigen Maßnahmen, die die WHO empfiehlt, zu einem besseren Outcome beitragen.

Im November 2022 veröffentlichte die WHO umfassende Empfehlungen zur Betreuung von Frühgeborenen, die als Grundlage für die Erstellung von nationalen oder klinikinternen Leitlinien und Standards dienen können. Die Empfehlungen gelten für Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftwoche und/oder mit einem Geburtsgewicht von unter 2500 g geboren werden.

Zu den wichtigsten Empfehlungen mit sehr guter Evidenzlage gehört, dass intensiver Haut-zu-Haut-Kontakt zwischen Mutter (Eltern) und Baby
1) so oft und so lange als möglich selbstverständliche Routine in jeder Neonatologie sein sollte
als auch
2) so früh als möglich initiiert werden sollte, also im besten Fall sofort nach der Erstversorgung das erste Bonding stattfindet.
Die WHO spricht ausdrücklich von der Implementierung einer "Null-Trennungs-Politik" als wünschenswertes Ziel in jeder Gesundheitseinrichtung: es ist stets ein Familienmitglied beim Kind, unabhängig vom Gesundheitsstatus des Kindes und auch direkt nach der Geburt. Im besten Fall wird jeder Transfer (z.B. vom Kreißsaal/OP auf die NICU) im Hautkontakt mit einem Familienmitglied durchgeführt.

Die nächste Empfehlung, die auch bei uns noch nicht flächendeckend umgesetzt wird, betrifft die Gabe von Muttermilch: die Milch der eigenen Mutter hat Priorität, gespendete Frauenmilch ist die zweitbeste Alternative. Eine Anreicherung der Milch mit Hilfe von Fortifiern wird nicht als Routinemaßnahme empfohlen, kann aber für kleine Frühgeborene (unter der 32. Schwangerschaftswoche oder unter 1500 g Geburtsgewicht) sinnvoll sein, wobei der positive Effekt auf Wachstum und Gedeihen gegenüber dem erhöhten Risiko einer NEC abgewogen werden muss. Fortifier auf Humanmilch-Basis könnten hier Abhilfe schaffen.
Sollte keine Mutter- oder Frauenmilch zur Verfügung stehen, ist für die Gruppe der kleinen Frühgeborenen (unter der 32. Woche/ unter 1500 g Geburtsgewicht) eine besondere Preterm-Säuglingsmilch sinnvoll.

Die WHO empfiehlt, wo immer möglich (auch bei sehr kleinen Frühgeborenen) sofort mit dem enteralen Nahrungsaufbau zu beginnen und dem Baby so früh wie möglich die Brust anzubieten.

Weitere Empfehlungen umfassen die Frage nach der Steigerung der täglichen Nahrungsmenge, einer möglichen Eisen-, Zink- und Vitamin-Supplementierung sowie der Anwendung von CPAP-Technologie und dem Einsatz von Methylxanthinen (Koffein).

Ein eigenes Kapitel befasst sich mit der Anleitung und Einbeziehung von Eltern und Familienmitgliedern in die Pflege und Betreuung des Frühgeborenen: es wird nachdrücklich empfohlen, die Familie so früh als möglich einzubeziehen und auch nach der Klinikentlassung noch eine Nachbetreuung anzubieten.

Die ausführlichen Empfehlungen (137 Seiten, Englisch) können Sie → hier herunterladen, dort finden Sie auch weiteres Material (Anhänge zu den Empfehlungen sowie eine Aufzeichnung der Präsentation, mit der die WHO die neuen Empfehlungen vorstellte).

© Januar 2023, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC

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