Late preterm Babys: Stillmanagement und Besonderheiten
Unsere Fachinformationen werden regelmäßig überprüft und ergänzt.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 2/2022
Das Stillmanagement ist entscheidend
Sogenannte "Late preterm" Babys, die mit einem Gestationsalter von 34 – 36 Wochen geboren werden, sind häufig direkt nach der Geburt relativ stabil und können gemeinsam mit ihrer Mutter regulär auf der Wochenstation aufgenommen werden, ebenso wie sogenannte "Nearly Term" oder "Early Term" Babys, die mit einem Gestationsalter von 37 - 38 Wochen geboren werden.
Auch wenn diese Kinder häufig routinemäßig wie reifgeborene Kinder behandelt werden und auch zunächst so erscheinen, als ob sie keine weiteren Maßnahmen benötigen, sind sie doch physiologisch und neurologisch noch unreif – dies zeigt sich z.B. im Schlaf- und Wachverhalten, im Muskeltonus, in der Fähigkeit zur Koordination von Schlucken und Atmen sowie in einem erhöhten Risiko für Hypoglykämie und Hyperbilirubinämie.
All diese Punkte haben Auswirkungen auf den Stillbeginn, der oft deutlich erschwert ist. Diese Mutter-Kind-Paare benötigen besondere Unterstützung und Aufmerksamkeit, damit das Stillen gelingt.
Über die Besonderheiten beim Stillstart für diese Kinder haben wir bereits → 2016 und → 2019 unter der Rubrik "Neues aus der Forschung" berichtet.
Eine neuere → Studie aus 2021, die den Stillerfolg und die Selbstwirksamkeit stillender Mütter aus einkommensschwachen Verhältnissen untersuchte, zeigte erneut, dass Mütter von Late-preterm- und Early-Term-Babys seltener ausschließlich stillen, sich beim Stillen weniger sicher fühlen und es insgesamt weniger genießen als die Mütter der Vergleichsgruppe mit reifgeborenen Kindern. Zuversicht und Selbstvertrauen, die sich in der sogenannten "Still-Selbstwirksamkeit" ("Breastfeeding Self-efficacy") ausdrücken, werden kaum erreicht, was wiederum den Stillerfolg in den folgenden Wochen und Monaten beeinflusst.
Die ersten 24 Stunden als "Power-Tag" nutzen
Am ersten Lebenstag erscheinen die späten Frühgeborenen oft noch unauffällig und wach, ab dem zweiten Lebenstag zeigen sie sich dann häufig müde und sind schwer zu aktivieren.
Daher schlagen einige Autor:innen vor, vor allem den ersten Lebenstag intensiv zu nutzen, um das Risiko für Hypoglykämie und Hyperbilirubinämie zu senken, sowie die Milchbildung der Mutter gut anzuregen.
Angelehnt an Campbell und Walker empfehlen wir folgende Vorgehensweise:
- Bonding und Self-Attachment wie bei jedem Mutter-Kind-Paar im Kreißsaal oder Sectio-OP, jedoch besonderes Augenmerk darauf, dass das Kind innerhalb der ersten Stunde Kolostrum erhält. Sollte dies nicht durch eigenständiges Finden zu Brust gewährleistet sein, wird zusätzlich von Hand gewonnenes Kolostrum verabreicht.
- In den darauffolgenden 4 Lebensstunden stündliche Gabe von Kolostrum (Handgewinnung), auch im Schlaf oder Halbschlaf. Selbstverständlich ist jeder Anlegeversuch sinnvoll und möglich.
- Anschließend alle 2 - 3 Stunden Stillen/Kolostrumgabe am ersten Lebenstag
- Besonders intensiver Hautkontakt, unmittelbares Reagieren auf erste Stillzeichen und Einsatz von Brustkompression während des Stillens
Zur optischen Verdeutlichung kann folgender Zeitstrahl dienen:
0----1----2----3----4----5------7------9-----11------13------15--------18--------21--------24
Die Mutter benötigt gute Aufklärung über die besondere Situation ihres Kindes, sowie die Information darüber, dass sie es in den nächsten Tagen aktiv und häufig zum Stillen wecken sollte. Die zusätzliche Kolostrumgewinnung von Hand, als Ergänzung zum Anlegen des Kindes, ist notwendig. Das gewonnene Kolostrum wird dem Neugeborenen direkt verabreicht (z.B. per Spritze mit Sonde oder Feeder als Aufsatz an der Brust, oder mit Spritze oder Löffel in den Mund des Kindes).
Weiterführende Informationen zur Handgewinnung von Kolostrum finden Sie auf unserer Fachseite
Die Brustkompression ist besonders bei Kindern, die wenig Energie beim Saugen zeigen, ein wichtiger Baustein für einen guten Stillbeginn. Mit Hilfe der Brustkompression erhält das Baby ein größere Menge an Milch, die noch dazu fettreicher ist. Weitere Informationen dazu finden Sie hier:
Auch in den folgenden Tagen wird es notwendig sein, dass die Mutter ihre Milchbildung gezielt unterstützt und das Baby immer wieder aktiviert und zum Stillen motiviert. Sie benötigt daher eine gute Aufklärung über den temporär erhöhten Aufwand und eine realistische Perspektive, wie das Stillen in ihrer besonderen Situation gut gelingen kann.
Ergänzende Maßnahmen nach dem ersten Lebenstag:
- Nach dem ersten "Power-Tag" wird das Baby im Laufe des zweiten Tages häufig schläfriger sein, was sich in den ersten Wochen fortsetzen kann. Intensiver, ausgedehnter Hautkontakt unterstützt die Reifung des Kindes sowie die Milchbildung der Mutter. Außerdem kann unmittelbar auf frühe Stillzeichen reagiert werden.
- Ab dem zweiten Lebenstag sollte zur effektiven Steigerung der Milchbildung eine Milchpumpe zur Unterstützung eingesetzt werden. Sobald das Baby wacher ist, regelmäßig und effektiv an der Brust trinkt und gut gedeiht, kann das Pumpen reduziert und dann eingestellt werden.
- Intuitives Stillen ist die Stillposition der ersten Wahl, besonders beim Late preterm Baby. Auch die sogenannte "modifizierte Wiegenhaltung"/"Frühchenhaltung" kann hilfreich sein. Viele späte Frühgeborene haben in den ersten Tagen und Wochen noch nicht die Energie, um von selbst wach zu werden. Maßnahmen zur Aktivierung sind daher sinnvoll, auch das Anlegen im Halbschlaf ist empfehlenswert.
- Wie oben erwähnt, kann jederzeit die Brustkompression zur Unterstützung während des Stillens eingesetzt werden. Manche Kinder profitieren auch vom Einsatz eines Stillhütchens, das das Erfassen der Brust erleichtern und Kinder mit wenig Tonus aktivieren kann.
Weiterführende Informationen, die die obigen Punkte ergänzen, erhalten Sie auf unseren folgenden Fachseiten:
Hilfreiche Materialien und Informationen
ELTERNBROSCHÜRE IN VERSCHIEDENEN SPRACHEN
Diese Broschüre für Eltern schildert ausführlich, warum Late preterm Kinder mehr Aufmerksamkeit benötigen und wie die Milchbildung für diese Mutter-Kind-Paare unterstützt werden kann. Sie steht in mehreren Sprachen zur Verfügung, z.B. auf Englisch, Französisch, Chinesisch, Russisch und Arabisch. Leider ist sie nicht auf deutsch verfügbar.
→ Breastfeeding Your Late Preterm Baby
ABM-PROTOKOLL ZUM STILLMANAGEMENT BEI LATE PRETERM BABYS
Die Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) gibt eine Vielzahl von evidenzbasierten Empfehlungen in Form von "Protokollen" heraus, die international als Vorbild für klinikinterne Standards dienen können und regelmäßig aktualisiert werden. Das Protokoll Nr. 10 zum Stillen von Late Preterm Babys wurde zuletzt 2016 überarbeitet und liegt neben dem englischen Original auch in einigen anderen Sprachen vor.
→ ABM-Protocol #10: Breastfeeding the Late Preterm and Early Term Infants
ESPGHAN POSITIONSPAPIER ZUR ERNÄHRUNG VON LATE PRETERM KINDERN
Die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) hat 2019 ein Positionspapier zur Ernährung von Late preterm und Moderate Preterm Kindern veröffentlicht. Sie weisen ebenfalls auf die erhöhten Risiken für einen guten Stillbeginn hin und betonen die enorme Wichtigkeit von Kolostrum und Muttermilch für diese Kinder. Die Autor:innen empfehlen, dass Mutter-Kind-Paare in dieser Gruppe verstärkt und gezielt zum Stillen unterstützt werden sollten.
→ Feeding the Late and Moderately Preterm Infant: ESPGHAN Committee on Nutrition