Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Neues ABM Protokoll Nr. 32: Management bei Hyperlaktation

Anlage zum Newsletter März 2020

ABM Clinical Protocol #32: Management of Hyperlactation
Helen M. Johnson et al. Breastfeeding Medicine, Volume 15, Number 3, 2020. DOI: 10.1089/bfm.2019.29141.hmj

Mütter, die unter einer überschießenden Milchproduktion leiden, benötigen intensive Betreuung. Die oft unterschätzten Folgen haben wir bereits auf unserer → Fachseite „Zuviel Milch und überaktiver Milchspendereflex“ zusammengetragen.

Vor kurzem wurde von der Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) das neue Protokoll Nr. 32 veröffentlicht, das sich mit dem Stillmanagement bei Hyperlaktation beschäftigt. Die Protokolle der ABM gelten weltweit als Handlungsempfehlungen für medizinisches Fachpersonal.

Die Produktion von zu viel Milch (auch als Hyperlaktation oder Hypergalaktie bezeichnet) erscheint uns zwar seltener als Problem gegenüber denjenigen Frauen, die unter zu wenig Milch leiden, ist aber dennoch nicht zu unterschätzen.

In den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt stellt sich die anfänglich hormonell gesteuerte Laktation schließlich auf eine autokrine Steuerung um. In dieser Zeit ist eine gewisse Brustfülle und häufiges Spannungsgefühl nicht ungewöhnlich, normalerweise passt sich die Brust den Bedürfnissen des Babys bald an.
Wenn es sich um eine Hyperlaktation handelt, treten häufig folgende Symptome in Kombination auf:
• Unangenehmes Spannungsgefühl in der Brust
• Andauerndem Austreten von Muttermilch
• Verstopfte Milchgänge
• Vermehrte Bildung von Milchbläschen
• Häufiges Auftreten von Milchstau und Mastitis
• Typische Verhaltenszeichendes Kindes (s.u.)

Im ABM-Protokoll wird beschrieben, dass bei manchen Müttern bereits in der Schwangerschaft ein exzessives Brustwachstum zu beobachten ist.
Säuglinge haben oft Schwierigkeiten, die gespannte Brust gut zu erfassen. Einige Kinder zeigen ein unruhiges Stillverhalten, lassen die Brust oft los, husten oder verschlucken sich während des Stillvorgangs. Manche Säuglinge beginnen sogar, ganz die Brust zu verweigern oder kneifen stark mit den Kiefern während des Stillens, um den Milchfluss zu stoppen. In einigen Fällen können auch gastrointestinale Symptome wie Blähungen, vermehrtes Aufstoßen und grüner Stuhl beobachtet werden.

Das ABM-Protokoll unterscheidet drei Formen der Hyperlaktation:

1. Selbst verursachte Hyperlaktation (self-induced)
Diese tritt auf, wenn die Mutter durch exzessive Stimulation der Brust, z.B. durch häufiges zusätzliches Abpumpen parallel zum Stillen die Milchmenge auf ein unerwünscht hohes Maß steigert, weil sie fürchtet, nicht genug Milch zu haben oder glaubt, große Vorräte für eine spätere Berufstätigkeit zu benötigen. In diesem Fall ist es wichtig, die Mutter über die normale Menge und das physiologische Trinkverhalten zu informieren und das Stillmanagement auf ein sinnvolles Maß zu bringen.

2. Durch Fachpersonal empfohlene Hyperlakation (iatrogenic)
Diese Form tritt auf, wenn die überschießende Menge durch Empfehlungen von medizinischem Personal verursacht wurde. In Ausnahmefällen, z.B. bei Müttern von Frühgeborenen, ist dies erwünscht und temporär sinnvoll. Wenn die Hyperlaktation nicht (mehr) notwendig ist, sollte das Still-/Pumpmanagement auf ein sinnvolles Maß zurückgefahren werden.

3. Hyperlaktation ohne erkennbare Ursache (idiopathic)
Liegen keine erkennbaren äußeren Einflüsse für zu viel Milch zugrunde, so bleibt die Ursache unklar. In diesem Fall können Maßnahmen wie Block-Stillen und in schweren Fällen auch der Einsatz von Medikamenten sinnvoll sein.

Handlungsempfehlungen

Zunächst sollte abgeklärt werden, um welche Form der Hyperlaktation es sich handelt. Häufig bestehen bei der Mutter oder bei betreuendem Fachpersonal Missverständnisse bezüglich des normalen Schlaf- und Trinkverhaltens eines Säuglings oder es wird angenommen, dass sich die Trinkmenge während der ersten Monate kontinuierlich zu einem bestimmten Prozentsatz steigern müsste. Ist die überschießende Milchproduktion aufgrund äußerer Umstände eingetreten, so gilt es, das Still-/Pumpmanagement auf ein sinnvolles Maß zu bringen.

Können keine äußeren Umstände gefunden werden, ist Block-Stillen die Maßnahme der Wahl. Es werden in der Literatur mehrere Varianten beschrieben, z.B. ist es denkbar, nur tagsüber Block-Stillen zu verwenden und nachts frei und nach Bedarf zu stillen.
EISL-Anmerkung: eine zusätzliche Maßnahme kann in Einzelfällen das sogenannte KEBS darstellen, dazu finden Sie nähere Informationen am Ende des Artikels.

Wie funktioniert Block-Stillen?
Dazu wird das Kind zunächst über einen definierten Zeitraum von z.B. 3 Stunden nur an derselben Brust angelegt, auch wenn es sich häufiger zum Stillen melden sollte. Die andere Brust beginnt, sich in dieser Zeit zu füllen. Durch das Verbleiben der Muttermilch in der sich füllenden Brust wird die autokrine Steuerung der Laktozyten die Milchproduktion nach und nach verringern. Wird diese Brust zu prall oder beginnt zu schmerzen, kann sie geringfügig von Hand entlastet werden. Im nächsten Zyklus wird die Seite gewechselt.
Eine Verbesserung der Situation ist bereits nach etwa 24 bis 48 Stunden zu erwarten, in manchen Fällen kann es nötig sein, die "Blöcke" auf 4 - 6 oder noch mehr Stunden auszudehnen. Eine engmaschige Betreuung ist erforderlich um mögliche Komplikationen (Milchstau, unerwünschte Gewichtsabnahme) zu vermeiden.

Kommt es trotz Block-Stillens zu keiner Verbesserung der Situation, kann der Einsatz von milchreduzierenden Wirkstoffen überlegt werden.
Die Anwendung pflanzlicher Stoffe in Form von Salbei- oder Pfefferminztee ist weit verbreitet, wissenschaftliche Studien für die Wirksamkeit gibt es jedoch nicht. Lediglich für die Anwendung von Jasminblüten und Mönchspfeffer zeigte sich laut ABM-Protokoll in Studien eine Milch reduzierende Wirkung. Aufgrund der geringen Datenlage kann jedoch keine eindeutige Empfehlung abgegeben werden.

Die Anwendung von Medikamenten sollte als letzter Schritt in Erwägung gezogen werden. Dabei kommt laut ABM-Protokoll als erste Wahl Pseudoephedrin, gefolgt von Östrogenpräparaten in Frage. Sind diese beiden Möglichkeiten ebenfalls ausgeschöpft, so kann als Ultima Ratio der Einsatz eines Dopamin-Antagonisten (idealerweise Carbergolin) überlegt werden.
EISL-Anmerkung: Diese Methoden sind hierzulande eher unüblich, wir stehen auch der Empfehlung zu Pesudoephedrin skeptisch gegenüber. Thomas Hale schreibt in "Medication and mother's milk" (2017), dass es eine Studie mit 8 Frauen gab, die die milchmindernde Wirkung beschreibt. Meist handelt es sich ansonsten um anekdotische Daten, daher ist derzeit keine Empfehlung dafür oder dagegen auszusprechen. Aus unserer Sicht birgt der Wirkstoff, der zur Gruppe der Sympathomimetika gehört und häufig in Erkältungsmitteln eingesetzt wird, die Gefahr von Nebenwirkungen. Zudem müsste Pseudoephedrin für eine milchminderne Wirkung in höheren Dosen eingesetzt werden, als sonst für Erkältungsmittel üblich, und sollte wenn, dann nur unter ärztlicher Begleitung eingesetzt werden.

Abschließend lässt sich sagen: Hyperlaktation ist ein ernst zu nehmender Symptomkomplex, bei dem sowohl die Mutter als auch das Kind unter den Folgen leiden können. Unbegleitet führt es häufig zum verfrühten Abstillen. Um dies zu vermeiden ist eine intensive Betreuung durch eine Still- und Lakationsberaterin IBCLC sinnvoll.

Das ABM-Protokoll steht derzeit nur in englisch → hier zur Verfügung.

Ergänzende Informationen des EISL zur KEBS-Methode:

Die sogenannte KEBS-Methode steht für "Komplett entleeren und Block-Stillen". Sie kann zum Einsatz kommen, wenn das "normale" Block-Stillen nicht ausreicht und v.a. wenn das Kind sehr unruhig ist, sich verweigert, an der Brust weint etc. Die immer volle Brust, die durch die Spannung nur schwer zu fassen ist, überfordert in Kombination mit einem starken Milchspendereflex das Kind beim Trinken. Zur Entlastung wird daher die Brust, die in den nächsten Stunden zum Stillen angeboten werden soll, zu Beginn des "Blocks" einmalig mit Hilfe einer Pumpe so weit als möglich entleert. Im Anschluss wird diese Brust für einen definierten Zeitraum mehrfach vom Kind abgetrunken, bevor schließlich der Wechsel zur anderen Seite erfolgt. Vor dem Einstieg in den "Block" der anderen Seite wird diese nun ebenfalls einmalig entleert und dann für mehrere Stunden zum Stillen angeboten.

Diese Vorgehensweise ermöglicht dem Kind, an einer weichen, weitgehend entleerten Brust ohne Druck zu trinken und sich dabei zu entspannen. Durch das einmalige Pumpen alleine wird die Milchproduktion nicht so angeregt, wie manchmal befürchtet – die Vorteile überwiegen hier. Falls im Einzelfall notwendig, kann das entleerende Pumpen zum Beginn eines neuen Blocks auch noch 1 - 2 weitere Male innerhalb der nächsten 24 - 48 Stunden durchgeführt werden, um die Situation zu entspannen. Meist ist dann kein weiteres KEBS mehr nötig, normales Block-Stillen ist für die weitere Reduktion der Milchmenge ausreichend.

© März 2020, Natalie Groiss, IBCLC und Anja Bier, IBCLC für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation, Mitarbeit: Gabriele Nindl, IBCLC und Gudrun von der Ohe, IBCLC und Ärztin

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