Europäisches Institut für Stillen und Laktation

S3-Leitlinie zur Allergieprävention aktualisiert

Anlage zum EISL-Newsletter Juli 2022

S3-Leitlinie Allergieprävention
Kopp MV, Muche-Borowski C, Abou-Dakn M, et al. Allergol Select. 2022 March 4; 6: 61-97. DOI: 10.5414/ALX02303E

Das wichtigste in Kürze:

  • Die aktualisierte Leitlinie passt sich in ihren Formulierungen den deutschsprachigen Empfehlungen der anderen Fachgesellschaften und Netzwerke an: empfohlen wird das ausschließliche Stillen für 4 - 6 Monate, sowie die Fortsetzung des Stillens nach der Beikosteinführung.
  • Die Beikosteinführung orientiert sich an der individuellen Bereitschaft des Säuglings (Reifezeichen) und sollte eine breite Vielfalt an Nahrungsmitteln umfassen (inkl. Fisch, Milchprodukten und vollständig durcherhitzem Hühnerei).
  • Der Einsatz von kuhmilchbasierter künstlicher Säuglingsnahrung sollte in den ersten Lebenstagen vermieden werden, wenn die Mutter stillen möchte. Von Hand gewonnenes Kolostrum oder gespendete Frauenmilch stellen hier Mittel der ersten Wahl dar.

Die deutsche AWMF-Leitlinie zur Allergieprävention war zuletzt 2014 aktualisiert worden und wartete seit 2019 auf eine Überarbeitung. Nun wurde das Update fertiggestellt und die Leitlinie veröffentlicht.

Die Leitlinie beschäftigt sich mit einer Vielzahl von Faktoren, die sich auf das Allergierisiko von Säuglingen und Kindern auswirken können, z.B. dem Vorhandensein von Haustieren in der Familie, Rauchen oder Schimmelpilzbelastung in der Wohnung sowie der Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit. In den vergangenen Jahren hat es hierzu einige neue Studien und Erkenntnisse gegeben, die in die aktuellen Empfehlungen einfließen.

Immer wieder kritisiert wurde die Vorgängerversion von 2014, weil dort das ausschließliche Stillen nur bis zu einem Zeitraum von 4 Monaten als protektiv in Bezug auf Allergien benannt wurde, was im deutschsprachigen Raum vielerorts zu der leichtfertigen Aussage geführt hat, eine Beikosteinführung nach dem 4. Monat brächte keine Vorteile mit sich. In einigen Fällen gingen diese Aussagen sogar soweit, die Beikosteinführung zwingend bereits für dieses Alter zu fordern, was weder von den Fachgesellschaften noch von den übergreifenden Netzwerken (in D: "Netzwerk Gesund ins Leben", in Ö: "Richtig essen von Anfang an") so gefordert oder empfohlen, jedoch immer wieder falsch kolportiert wurde.

Eine Schwierigkeit, die die Leitinie zur Allergieprävention in Bezug auf die Dauer des ausschließlichen Stillens hat: sie muss sich auf Studien stützen, die sehr häufig eben nicht untersucht haben, ob ein ausschließliches Stillen länger als 4 Monaten noch einen Effekt auf das Allergierisiko von Säuglingen hat. Da leider die meisten verfügbaren Studien dies nur bis zum Alter von vier, manchmal sogar nur bis zum Alter von drei Monaten differenziert erfasst haben, können über die potentiellen Effekte eines längeren ausschließlichen Stillens bezüglich der Allergieprävention nur bedingt gesicherten Aussagen getroffen werden.
Zugleich ist ausschließliches Stillen bis zu einem Alter von ungefähr 6 Monaten der weltweit empfohlene Standard (WHO, AAP, ABM, CDC etc.) und Allergieprävention ist nicht die einzige Komponente, die bei der Entscheidung für ein längeres ausschließliches Stillen relevant ist: eine Vielzahl von Studien zeigt die positiven gesundheitlichen Effekte kurz- und langfristig für Mutter und Kind.

Die aktualisierte Leitlinie trägt diesem Umstand Rechnung und passt sich in ihren Formulierungen an die Empfehlungen der deutschsprachigen Netzwerke und Fachgesellschaften an. Empfohlen wird nun das ausschließliche Stillen für die ersten 4 - 6 Monate und es wird betont, dass auch mit der Einführung der Beikost weitergestillt werden soll. Hier stellt die aktualisierte Leitlinie aus Sicht der Stillförderung also eine Verbesserung gegenüber der alten Version dar.

Neu: Es wird ausdrücklich erwähnt, dass eine Zufütterung von kuhmilchbasierter Formulanahrung in den ersten Lebenstagen vermieden werden sollte, wenn die Mutter stillen möchte. Dies ist eine wichtige Aussage, die sicher in den nächsten Jahren auch häufig zitiert werden wird, wenn wir über sinnvolles Stillmanagement und Stillförderung in den ersten Tagen sprechen. Sie unterstreicht, was wir seit langer Zeit unterrichten: von Hand gewonnenes Kolostrum als Mittel der ersten Wahl stellt bei ersten Stillschwierigkeiten eine sehr gute Unterstützung dar, ohne auf eine künstliche Säuglingsnahrung zurückgreifen zu müssen. Alternativ dazu stellen einige Kliniken gespendete Frauenmilch für diese Fälle zur Verfügung, was ebenfalls eine effektive Allergieprophylaxe unter Vermeidung von künstlicher Säuglingsnahrung darstellt.
Sollte weder Kolostrum der eigenen Mutter noch gespendete Frauenmilch zur Verfügung stehen, empfiehlt die aktuelle Leitlinie bei medizinischer Indikation für eine Zufütterung den Einsatz einer extensiv hochhydrolysierten Therapie-Formulanahrung oder eine Aminosäureformulanahrung.

Weitere Empfehlungen der neuen Leitlinie:
• Während Schwangerschaft und Stillzeit wird eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung der Mutter empfohlen, eine Vermeidung von bestimmten Nahrungsmitteln ist nicht sinnvoll.
• Wenn Kinder nicht oder nicht vollständig gestillt werden, galt bisher die Empfehlung, Kinder mit einem erhöhten Allergierisiko mit HA-Nahrung statt "normaler" Säuglingsnahrung zu füttern. Diese Empfehlung wird aufgehoben, derzeit liegen dafür keine ausreichenden Evidenzen vor. Die Empfehlung lautet, für Risikokinder zum fraglichen Zeitpunkt zu prüfen, ob aktuelle Evidenzen vorliegen, die die Wirksamkeit der HA-Nahrung belegen (derzeit nicht vorhanden). Säuglingsnahrung, die nicht aus Kuhmilch, sondern aus Soja, Ziegenmilch, Schafmilch o.ä. hergestellt wird, wird NICHT empfohlen.
• Die Beikosteinführung wird explizit mit der individuellen Bereitschaft des Säuglings verknüpft, auch hier decken sich also die aktualisierten Empfehlungen mit denen der anderen Fachgesellschaften und Netzwerke: Beikost wird eingeführt, wenn die Reifezeichen des Kindes entwickelt sind. Es soll eine vielfältige Auswahl an unterschiedlichen Nahrungsmitteln im zweiten Lebenshalbjahr angeboten werden, dies umfasst auch Fisch, Milchprodukte und vollständig durcherhitztem Hühnerei.

Ein zuletzt häufiger diskutierter Punkt betrifft den Einsatz von Supplementen wie z.B. Prä- und Probiotika für Mutter und/oder Kind. Hierzu wird klar konstatiert, dass dazu keine ausreichenden Evidenzen vorliegen, die eine allergiepräventive Wirkung belegen – im Gegenteil wird aktiv davon abgeraten, solche Supplemente aus Gründen der Allergieprophylaxe Kind oder Mutter zuzuführen (auch nicht in künstlicher Säuglingsnahrung!).
Die kindliche Supplementierung mit Vitamin D über die normale Empfehlung zur Rachitis-Prophylaxe hinaus ist nicht sinnvoll, dies gilt auch für andere Vitamine.
Abweichend von der Version aus 2014 ist die Datenlage zur Supplementierung mit LCPUFAs (z.B. DHA) bei Mutter und/oder Kind nicht mehr so eindeutig, was dazu führt, dass die aktualisierte Leitlinie nun keine abschließende Empfehlung zu diesem Thema aussprechen kann. Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Supplementierung mit DHA das Allergierisiko senkt, die Evidenzen dafür sind jedoch nicht ausreichend für eine Empfehlung.

Die vollständige Leitlinie (inkl. weiterer Empfehlungen in Bezug auf Haustiere, Raumluft etc.) ist auf der AWMF-Plattform → hier nachzulesen.

© Juli 2022, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC

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