Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Zu wenig Milch

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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 7/2023

Verbreitetes Problem oder Mythos?

Stillen ist Nahrung für Körper und Seele und eine gelingende Stillbeziehung gibt Müttern viel Selbstvertrauen. Nicht immer klappt jedoch alles problemlos: Zu den häufigsten Ursachen für ein frühzeitiges Abstillen trotz Stillwunsch gehört nach wie vor die Sorge um "zu wenig Milch". Dies bestätigen auch die letzten Erhebungen zum Stillen in Deutschland und Österreich (KiGGS, 2018; Sukie, 2021).

Obwohl es tatsächliche medizinische Gründe für eine unzureichende Milchproduktion geben kann, beruht das Gefühl, zu wenig Milch zu haben, in vielen Fällen auf unrealistischen Vorstellungen vom normalen Stillverhalten beziehungsweise dem allgemeinen Verhalten eines Säuglings. Es handelt sich also in vielen Fällen vor allem um ein Wahrnehmungsproblem.
Auch Unerfahrenheit sowie fehlendes Wissen über die Physiologie der Laktation sind Faktoren, die zu vorschnellen Urteilen über einen vermeintlichen "Milchmangel" führen können. Ebenso kommt es durch unzureichende Unterstützung (im Umfeld und durch Fachpersonal) zu einem geringerem Selbstvertrauen und zu einer verminderten "Stillselbstwirksamkeit" (Breastfeeding-Efficacy). (Lauwers & Swisher, 2021:461)
In den ersten Wochen und Monaten ist es nicht immer leicht, das normale Spektrum an Erfahrungen mit einem kleinen Baby richtig zu deuten und von beunruhigenden Anzeichen zu unterscheiden.

Subjektiv empfundener Milchmangel

Typische Zeichen, die besonders häufig für Verunsicherung sorgen:

  • Häufiges Stillen, vor allem in den Abendstunden (Clusterfeeding/ Lagerfeuerstillen)
  • Kurze oder lange Stillmahlzeiten/ Stillepisoden
  • Unruhe/ Weinen des Babys
  • Intensiver Bedarf nach Körperkontakt
  • Weiche Brüste nach den ersten Wochen
  • Keine oder nur geringe Milchmengen bei Handgewinnung/ Pumpversuchen

Eltern interpretieren diese Faktoren oft als Zeichen dafür, dass die Muttermilch nicht ausreicht, sie gehören jedoch meist zum normalen Stillverhalten und sind keine zuverlässigen Hinweise auf die Milchmenge und das Gedeihen des Kindes.

Weit aussagekräftiger zur Beurteilung der Situation sind Faktoren, die die Ausscheidungen, das Gewicht und das allgemeine Gedeihen des Kindes berücksichtigen.

Anzeichen für eine ausreichende Milchproduktion und ein gutes Gedeihen:

  • Häufiges Stillen, mindestens 8 - 12 Mal in 24 Std.
  • Ab dem 4. Tag postpartum: mind. 4 - 6 nasse Windeln in 24 Std. (Walker, 2023:328)
  • Ab Tag 3, bis ca. 4 - 6 Wochen postpartum: mind. 3 Mal Stuhlgang in 24 Std. (ILCA-Leitlinien, 2014)
  • Erkennbares Schlucken des Babys beim Einsetzen des Milchspendereflexes
  • Geburtsgewicht erreicht mit 10 Tagen (ILCA-Leitlinien, 2014), bzw. 10 - 14 Tagen (Core Curriculum LEAARC, 2023/2024:473)
  • Geburtsgewicht verdoppelt mit 3 bis 4 1/2 Monaten (bezogen auf die WHO-Standards, aus den Kurven ermittelt)
  • In den ersten Monaten ist eine ungefähre Gewichtszunahme von 170 bis 330g/Wo zu erwarten, im dritten und vierten Monat eine Gewichtszunahme von 110 bis 330 g/Wo (Guóth-Gumberger, 2011:42; Lauwers & Swisher, 2021:331; Wambach & Spencer, 2021:313)
  • Aufgewecktes Baby mit gutem Muskeltonus und glatter Haut
  • Brust fühlt sich nach dem Stillen weicher an

Ausführliche Leitlinien mit Auflistung der dazugehörenden Evidenzen bietet ILCA, der Internationale Dachverband der Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC. Sie finden diese auf der folgenden Seite:

Lesen Sie außerdem ausführlich weiter auf unserer Fachseite:

Tatsächlich unzureichende Milchproduktion

Natürlich gibt es neben dem scheinbaren Milchmangel auch tatsächliche Störungen der Milchbildung bzw. Entwicklungen, die eine unzureichende Milchmenge oder einen ineffektiven Milchtransfer nach sich ziehen und das Gedeihen des Kindes beeinträchtigen (Core Curriculum LEAARC, 2023/2024:479ff; Lawrence 2022:312ff, 546ff; Lauwers & Swisher, 2021:462f+469f; Walker, 2023:548f; Wambach & Spencer, 2021:260, 325-328).
Ein echter Milchmangel könnte auf genetische, anatomische, hormonelle oder Umwelteinflüsse zurückzuführen sein (Walker, 2023:548). Sowohl für primären als auch sekundären Milchmangel (manchmal auch als Laktationsinsuffizienz bezeichnet) gibt es verschiedene Ursachen. Einige Ursachen können sowohl primär als auch sekundär sein.

Die primären Ursachen sind mütterlicherseits im Vorhinein gegeben und eine ausreichende Laktation ist trotz Optimierung des Stillmanagements manchmal schwer oder auch gar nicht zu erreichen.

PRIMÄRE FAKTOREN FÜR ZU WENIG MILCH

  • Hypoplastische Brüste (unzureichendes Drüsengewebe), Fehlanlagen der Brust
  • Operationen und/ oder Verletzungen der Brust
  • Hormonelle Probleme
  • Plazentarest
  • Starke Blutungen bei der Geburt
  • Starkes Übergewicht
  • Hypertonie über längere Zeit oder schwangerschaftsinduziert

Einen Überblick über mütterliche Erkrankungen, die Ursache einer unzureichenden Milchproduktion sein könnten, gibt der folgende Artikel von Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC, den wir Ihnen zum Download zur Verfügung stellen:

Die sekundären Ursachen können sowohl bei der Mutter als auch beim Kind liegen. Vorrangig sind Störungen im Geburtsprozess und im Management der beginnenden Laktation die Gründe für zu wenig Milch.

SEKUNDÄRE FAKTOREN FÜR ZU WENIG MILCH ODER VERSPÄTETE LAKTONGENESE II

  • Geschwächte Mutter, Geburtstrauma, Sectio, Störungen des Bondings
  • Frühgeborenes Baby oder kranker Säugling
  • Baby mit Saugproblemen (orale Anomalien, neurologische oder kardiale Probleme)
  • Mangelnde Stimulation der Brust (unzureichend, ineffektiv, selten)
  • Zu frühe Zufütterung
  • Verwendung von Flasche und/oder Schnuller
  • Ausschließliches Abpumpen kombiniert mit mangelhaftem Pumpmanagement
  • Störungen der Oxytozin-Ausschüttung und des Milchspendereflexes
  • Medikamente, die die Laktation hemmen können
  • Nährstoffmangel (Jod, B12)
  • Rauchen, Alkohol, Drogen
  • Diabetes
  • Pathologische Initiale Brustdrüsenschwellung
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    © J. Adomat
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    © AdobeStock/BernardBodo

Vorgehensweise bei zu wenig Milch

Ausführliche Anamnese erstellen und das Gesamtbild beurteilen

  • Anamnese Gesundheit des Kindes inkl. Erstellen einer Gewichtskurve
  • Ernährung des Kindes erfragen (voll gestillt oder zugefüttert; bei Zufütterung Zeitpunkt, Häufigkeit und Menge erfragen und in die WHO-Gewichtskurve eintrage)
  • Verwendung von Stillhilfsmitteln (z.B. Stillhütchen) inkl. Schnuller erfragen
  • Anamnese Gesundheitszustand Mutter inkl. Untersuchung der Brust; Risiken für die Laktation identifizieren
  • Stillmahlzeiten beobachten und analysieren

(Core Curriculum LEAARC, 2023/2024:470)

Folgende Schritte sind zu empfehlen

  • Das Baby muss ausreichend Nahrung bekommen und eventuell zugefüttert werden
  • Die Gründe für den Milchmangel identifizieren und wenn möglich beseitigen
  • Das Stillmanagement überprüfen und verbessern
  • Das Saugen des Babys beurteilen und eventuell orale Besonderheiten identifizieren
  • Steigerung der Milchmenge durch geeignete Maßnahmen

(Core Curriculum LEAARC, 2023/2024:470)

Beratungsstrategien

  • Erreichbare Ziele setzen
  • In kleinen Schritten planen
  • Nicht überfordern
  • Das Selbstvertrauen in die Stillfähigkeit steigern
  • Es lohnt sich, einen Lösungsversuch zu starten
  • Schuldgefühle entstehen nicht durch gute Information, sondern durch fehlendes Wissen und verpasste Chancen
  • Alternativen anbieten, individuelle Lösungen finden
  • Teilstillen ist ein Weg, „Buntes Stillen“
  • Auch Abstillen kann eine Lösung sein!

(Lauwers & Swisher, 2021:471f.; Lawrence 2022:311; Walker, 2023:553; Wambach & Spencer, 2021:260)

In einigen Fällen wird eine (zumindest vorübergehende Zufütterung) des Babys notwendig sein. Ausführliche Informationen zum Thema Zufütterung und der Frage, welche Nahrung dafür geeignet ist, erhalten Sie auf unseren folgenden Facheiten:

Galaktogogen (Milchbildungsfördernde Wirkstoffe)

Traditionell werden zur Anregung der Milchproduktion in vielen Kulturen sogenannte Galaktogogen eingesetzt. Sie stärken meist die Zuversicht der Mütter, ausreichend Milch zu bilden und tragen in einigen Fällen zur Entspannung bei. Manchmal handelt es sich um reichhaltige Nahrungsmittel, die der jungen Mutter Energie für ihre neue Aufgabe zur Verfügung stellen. Wenn sie der Mutter gut tun, können sie weiter angewendet werden, auch wenn sie physiologisch betrachtet keine milchfördernden Eigenschaften haben.

Vermeintlich milchbildungssteigernde Substanzen werden jedoch immer wieder auch verwendet, ohne zuvor die Ursachen für die geringe Milchproduktion zu untersuchen und das Stillmanagement genau zu überprüfen. Daher sollten Galaktogogen nur als Ergänzung eingesetzt werden und können eine umfassende Analyse und Beratung der stillenden Mutter nicht ersetzen. Medikamentöse Galaktogogen sind auf Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen hin kritisch zu untersuchen.

In manchen Fällen können medikamentöse Maßnahmen zur Steigerung des Prolaktinspiegels angezeigt sein (Domperidon) – für sogenannte "natürliche", auf Kräutern basierende Galaktogogen existieren derzeit keine ausreichenden Evidenzen. Allen Galaktogogen gemeinsam ist, dass in manchen Fällen eine Wirkung über den Placebo-Effekt erzielt wird.

Genauere Angaben zu Dosierungen und Indikationen finden Sie im folgenden Artikel von Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC, über die Dosierungsempfehlungen beim Einsatz von Domperidon als Galaktogogum:

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    © Fotolia/Andrey Popov
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    © G. Reinschlüssel

Informationsmaterialien für Eltern

Ein Informationsblatt, das alle wichtigen Punkte noch einmal schriftlich zusammenfasst, ist in der Beratung von jungen Eltern hilfreich. Zwei kostenlos zum Download zur Verfügung stehende Blätter von La Leche Liga Deutschland e.V. eignen sich sehr gut dafür:

Stillen fördern

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