Europäisches Institut für Stillen und Laktation

ABM Protokoll Nr. 2 aktualisiert: Richtlinien für die Klinik-Entlassung von stillenden Mutter-Kind-Paaren nach der Geburt

Anlage zum EISL-Newsletter April 2022

ABM Clinical Protocol #2: Guidelindes for Birth Hospitalization Discharge of Breastfeeding Dyads, Revised 2022
Adrenne E. Hoyt-Austin, Laura R. Kair, Ilse A. Larson, and Elizabeth K. Stehel and the Academy of Breastfeeding Medicine. Breastfeeding Medicine, 16. März 2022. DOI: https://doi.org/10.1089/bfm.2022.29203.aeh

Das wichtigste in Kürze:

  • Der Übergang zwischen der Betreuung in der Geburtsklinik und dem weiteren Wochenbett stellt weltweit eine Herausforderung dar, die auch das Stillen gefährden kann
  • Das Stillen noch während des Aufenthalts in der Geburtsklinik bestmöglich zu initiieren und die Mütter gut über den zu erwartenden Verlauf zu informieren, gehört zu den zentralen Aufgaben des Klinikpersonals
  • Eine zu frühe Entlassung, unzureichende Beobachtung und Beratung zum Gewichtsverlauf, eine Trennung von Mutter und Kind, Geschenke mit Werbung und Säuglingsnahrungsproben und fehlende fachliche Betreuung im Wochenbett stellen Risikofaktoren dar

Die Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) Protokolle dienen seit vielen Jahren als richtungsweisende Leitlinien in der Behandlung und Begleitung stillender Frauen und deren Kinder.
Das Protokoll Nr. 2 wurde kürzlich überarbeitet und in einer aktualisierten Form veröffentlicht. Auch wenn viele dort enthaltenen Punkte uns selbstverständlich erscheinen, lohnt es sich doch, auch in der eigenen Klinik nochmals genauer hinzusehen: wie gut gelingt die Verknüpfung mit den weiterführenden Angeboten Zuhause? Wie ist die Nachsorge gesichert? Ist die Entlassung zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise sinnvoller?

Wir fassen die wichtigsten Punke im ABM-Protokoll kurz für Sie zusammen:

Stillunterstützung in der Klinik
• Die Stillunterstützung sollte während des gesamten Klinikaufenthaltes gegeben sein. Darüber hinaus ist es wichtig, Mütter auf entsprechende Angebote außerhalb der Klinik hinzuweisen. (Stillambulanz, Stillgruppe, usw.) – siehe dazu auch BFHI Schritt 5 und 10

Risiken für ein frühes Abstillen
• Es ist wichtig, dass frühe Stillprobleme wie zum Beispiel wunde Mamillen, Schwierigkeiten bei der Handgewinnung oder das Gefühl zu wenig Milch zu haben und zufüttern zu müssen, ernstgenommen und bearbeitet werden.
• Die Mutter-Kind Dyade profitiert von einem familienzentrierten Ansatz, bei dem der Fokus darauf gelegt wird, dass sowohl die Mutter als auch Partner:innen und andere Familienmitglieder das Stillen aktiv unterstützen.
• Alle Fragen zum Thema Stillen sollten vor der Entlassung der Mutter und des Neugeborenen von geschultem Klinikpersonal besprochen und dokumentiert werden.

Risiken einer frühen Entlassung
• Eine vorzeitige Entlassung sollte bei ausschließlich gestillten Neugeborenen sorgfältig erwogen werden, da das Risiko einer Wiederaufnahme infolge einer Hyperbilirubinämie oder Dehydration besteht. Wenn Familien sehr rasch entlassen werden, ist es umso wichtiger, sicherzustellen, dass eine Anschlussbetreuung Zuhause stattfindet.

Überlegungen zur Gewichtsabnahme Neugeborener
• Wenn es noch in der Klinik eine klare Indikation zum Zufüttern gibt, sollten stillfreundliche Zufütterungsmethoden (Spritze, Becher) verwendet werden.

Die Bedeutung der Mutter-Kind zentrierten Pflege
• Mutter und Kind sollten nach Möglichkeit nicht getrennt werden. Sollte eine Trennung dennoch unumgänglich sein, so sollte das Stillen und soviel Haut- und Körperkontakt wie möglich unterstützt werden. Darüber benötigt die Mutter Anleitung, wie sie Milch gewinnen und die Milchproduktion steigern oder aufrechterhalten kann.

Geschenke bei der Entlassung
• Familien profitieren von adäquatem, wissenschaftlich fundiertem Informationsmaterial, welches idealerweise frei von kommerzieller Werbung ist. Das Verteilen von Proben und anderen Produkten, die von Säuglingsnahrungsherstellern bereitgestellt werden, kann das Stillen beeinträchtigen und sogar zu frühzeitigem Abstillen führen.

Vorschläge für weitere präventive Maßnahmen
• Stillende Mütter und junge Familien sollten (nach Möglichkeit in ihrer Muttersprache) persönlich und mit Hilfe von schriftlichem Informationsmaterial darüber informiert werden, was in der Wochenbettzeit zu erwarten ist.
• Jede stillende Mutter sollte darüber Bescheid wissen, wie sie Milch aus der Brust gewinnen kann (Handgewinnung oder Pumpe), sollte es zu einer Trennung kommen oder das Kind nicht direkt an der Brust trinken können.

Kontinuität und Übergänge
• Um die stillende Mutter und ihr Kind bestmöglich zu unterstützen, ist es wichtig, dass ein möglichst fließender, gut koordinierter Übergang zwischen der Beratung in- und außerhalb der Klinik gegeben ist. Dies erfordert Kommunikation zwischen Klinik und außerklinischer Betreuung.

Art und Zeitpunkt von Nachsorge-Terminen
• Unabhängig vom Geburtsmodus sollten Mutter und Kind nach einer Geburt noch für einige Zeit von medizinischem Fachpersonal unterstützt werden. Die WHO empfiehlt eine 24-Stunden-Überwachung nach Geburt sowie Nachsorge-Termine an Tag 3, mit 1 - 2 Wochen und 6 Wochen postpartum.
• Die Nachsorge kann wahlweise zu Hause oder in einer Praxis erfolgen.
• Neugeborene, die vor dem vollendeten 2. Lebenstag entlassen werden, sollten innerhalb von 24–48 Stunden nach der Entlassung erneut untersucht werden.

Nachsorge zur Unterstützung des Stillens nach Entlassung aus der Geburtsklinik
• Familien sollten nach der Entlassung aus der Klinik an weiterführende stillunterstützende Stellen verwiesen werden, professionelle Stillberatung sollte zur Routine-Nachsorge gehören.
• Stillunterstützung in Form von Besuchen in einer Praxis, Hausbesuchen oder mittels eines Onlinedienstes sowie der Besuch von Stillgruppen sollte flächendeckend angeboten werden. Es hat sich gezeigt, dass dies die Etablierung des ausschließlichen Stillens und die Dauer des Stillens insgesamt erhöht und darüber hinaus eine einfache und kosteneffektive Maßnahme darstellt.
• Ergänzende Informationsmaterialien, inklusive verschiedener Angebote im Internet, können ebenfalls zum Stillerfolg beitragen und sind kostengünstig verfügbar. Sie können die mütterliche Selbstwirksamkeit verstärken, stillende Frauen mit professionellen Beratungsangeboten vernetzen und insgesamt zur Unterstützung des Stillens beitragen. Allerdings ist die Qualität der Informationen, die junge Familien im Internet zum Thema Stillen finden, nicht immer gleichbleibend gut.

Das vollständige Protrokoll steht derzeit nur im englischen Original → hier zur Verfügung.

© April 2022, Natalie Groiss (IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Anja Bier, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC

Stillen fördern

Stillen fördern
Stillen fördern

Mit Ihrer Hilfe können wir fundiertes Fachwissen und nützliche Dokumente für die Praxis weiterhin kostenfrei auf unserer Webseite zur Verfügung stellen.Spenden