Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Neues ABM-Protokoll Nr 37: Nächtliches Stillen ist physiologisch

Anlage zum EISL-Newsletter März 2023

ABM Clinical Protocol #37: Physiological Infant Care—Managing Nighttime Breastfeeding in Young Infants
Deena Zimmerman, Melissa Bartick, Lori Feldman-Winter, Helen L. Ball, the Academy of Breastfeeding Medicine et al. Breastfeeding Medicine.Mar 2023.159-168. DOI: https://doi.org/10.1089/bfm.2023.29236.abm

Das wichtigste in Kürze:

  • Die nächtliche Betreuung eines Säuglings stellt für viele junge Eltern eine große Herausforderung dar. Fragen nach dem sichersten Schlafplatz, praktikablen Lösungen zum Stillen und gemeinsamen Schlafen sowie die Frage nach der Notwendigkeit, aktiv in die Schlafmuster des Kindes "einzugreifen", sind weltweit "Dauerbrenner-Themen"
  • Eine Stillbeziehung profitiert vom gemeinsamen Schlafen, viel Nähe und uneingeschränktem nächtlichen Stillen. Die differenzierte Kommunikation zwischen Mutter und Baby wird ebenso gefördert wie das physiologische Schlafverhalten. Stillen trägt zur SIDS-Prophylaxe bei.
  • Die vor allem in westlichen Ländern verbreitete Vorstellung, dass Babys bereits mit wenigen Monaten "durchschlafen" sollen oder dass die Selbständigkeitsentwicklung gefördert wird, wenn Babys ohne Unterstützung durch die Brust ein- und weiterschlafen sollen, wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit von Eltern aus und gefährdet die Fortsetzung der Stillbeziehung. In Studien wurde gezeigt, dass gestillte Kinder nicht schlechter schlafen als nicht-gestillte Kinder und stillende Mütter, die gemeinsam mit ihrem Baby schlafen, erhalten sogar etwas mehr Schlaf als Mütter, die ihr Baby mit der Flasche füttern.

Die ABM-Protokolle (Academy of Breastfeeding Medicine) dienen seit vielen Jahren als richtungsweisende Leitlinien in der Behandlung und Begleitung stillender Frauen und deren Kinder.
Das Protokoll Nr. 37 wurde komplett neu erstellt und beschreibt, wie Säuglinge physiologisch schlafen, wie nächtliches gemeinsames Schlafen und Stillen miteinander verwoben sind und wie Eltern die nächtliche Betreuung ihres Säuglings sicher und praktikabel gestalten können.

Im ersten Abschnitt widmet sich das Protokoll dem normalen physiologischen Stillverhalten von Neugeborenen und Säuglingen, sowohl tags als auch nachts. Die Bedeutung von Stillen nach Bedarf, non-nutritivem Saugen und häufigem Stillen von Anfang an wird erklärt. Dass direktes Stillen nicht gleichbedeutend und nicht im selben Maße effizient ist wie Abpumpen, wird ebenfalls erläutert.

Im nächsten Abschnitt geht das Protokoll auf das normale, physiologische Schlafverhalten von Neugeborenen und Säuglingen ein und zeigt die Bedeutung von Nähe für das Etablieren und Gelingen der Stillbeziehung auf. Melatonin als Inhaltsstoff der Muttermilch wird nächtlich in erhöhtem Maß ausgeschüttet und trägt so dazu bei, dass gestillte Säuglinge leichter in einen Tag-Nacht-Rhythmus finden.
Risikofaktoren für ungünstige Schlafmuster sowie SIDS werden ebenso diskutiert wie die Auswirkungen von getrenntem Schlafen.

Die nächsten Abschnitte beschäftigen sich mit den tpyischen westlichen Vorstellungen und Erwartungen an Säuglinge: alleine ein- und weiterschlafen, möglichst lange ungestörte Schlafphasen bzw. "durchschlafen" sowie der Sorge, dass gemeinsames Schlafen das SIDS-Risiko erhöhen könnte (wie es in vielen Ländern bis heute noch kommuniziert wird, auch wenn einige nationale Empfehlungen sich diesbezüglich in den letzten Jahren gewandelt haben).

Im weiteren Verlauf bespricht das Protokoll Faktoren wie mütterliche Depression als Risikofaktor, verbreitete Praktiken wie nächtliches Pumpen, Schlaftrainings-Methoden, nächtliche Beleuchtung und moderne Tracking-Apps, die sich alle negativ auf das physiologische Schlafen auswirken.

Am Ende des Protokolls stehen konkrete Empfehlungen:
• Eltern dabei unterstützen, das physiologische Schlaf- und Stillverhalten ihres Babys zu verstehen und im liebevollen Dialog adäquat zu beantworten
• Gemeinsames sicher gestaltetes Schlafen und nächtliches Stillen, was sowohl die Schlafumgebung (Bett, Kissen etc.) angeht als auch gute Schlafpositionen für Mutter und Kind ("schützendes C" der Mutter)
• Vermeiden von unnötigen Unterbrechungen und Praktiken, die Mutter und Kind daran hindern, sofort weiterzuschlafen (z.B. Aufstoßen lassen, Wickeln, zu helles Licht)
• "Schlaftraining" unter 6 Monaten ist kontraindiziert und auch im nachfolgenden halben Jahr nicht empfohlen
• Mütter und Eltern sollten soviel wie möglich schlafen, wenn das Baby schläft (auch tagsüber) und Unterstützung im Haushalt und bei anderen Pflichten erhalten
• Der Einsatz einer guten Tragehilfe tagsüber ist empfehlenswert und trägt zur Bindung bei
• Zufütterung oder verfrühte Einführung von Beikost werden das Schlafverhalten nicht positiv beeinflussen und sollten vermieden werden
• Tracking Apps oder andere Methoden, die das Schlaf- und Stillverhalten von Babys genau aufzeichnen tragen eher zu Unzufriedenheit der Eltern bei und können den feinfühligen Dialog zwischen Eltern und Kindern stören
• In Ländern, in denen Mütter nicht mindestens 12 Wochen Mutterschutz postpartum genießen, sollte dies unbedingt politisch verfolgt werden

Das Protokoll wird durch ein Handout für Eltern ergänzt, das in kurzer Form die wichtigsten Punkte darstellt.

Derzeit ist das Protokoll nur auf Englisch erhältlich, Übersetzungen werden vermutlich folgen.
Hier geht es zum Protokoll, → hier zum Handout für Eltern

Ergänzende Information:

Das Protokoll Nr. 37 nimmt Bezug auf das bereits länger existierende → ABM-Protokoll Nr. 6 ("Bedsharing and Breastfeeding" bzw. "Betteilen und Stillen"), das zuletzt 2019 überarbeitet wurde.

Vor Kurzem hat die ABM auch zu diesem Protokoll ein ergänzendes → Handout für Eltern veröffentlicht, das bereits in mehreren Sprachen zur Verfügung steht und die wichtigsten Sicherheitshinweise für das gemeinsame Schlafen beinhaltet.
Allerdings wird in diesem Handout empfohlen, das (gemeinsame) Bett von der Wand weg zu rücken und auch keine Bettgitter am Bett anzubringen. Wie das Baby stattdessen gegen Herausfallen gesichert werden soll, wird nicht beschrieben, was wir kritisieren. Ein gut befestigtes Bettgitter oder ein Heranrücken an die Wand erscheint uns möglich, wenn dabei sichergestellt wird, dass keine Zwischenräume entstehen, in die das Baby rutschen oder sich einklemmen kann. Ein sicher montiertes Beistellbett ist wahrscheinlich die beste Lösung.

© März 2023, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC

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