Sukie-Studie Österreich: Handlungsbedarf bei der Stillförderung
Anlage zum EISL-Newsletter Juni 2021
Sukie – Studie zum Stillverhalten und zur Kinderernährung in Österreich
Mag.a Bernadette Bürger, Mag.a Tanja Tripolt, Dr.in Alexandra Wolf-Spitzer, Adelheid Weber MSc, Priv.-Doz.in Dr.in Karin Schindler. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Wien, 6/2021. Endbericht: https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:91fb031c-f08f-4b3e-b637-e78d61024b7f/Sukie_Endbericht_barrierefrei.pdf
Das wichtigste in Kürze:
- Umfassende Studie mit Befragung von österreichischen Geburtskliniken und Müttern – teilweise sehr detailliert und gut aufbereitet
- Hohe Stillbereitschaft (98% aller Neugeborenen werden zumindest für einige Zeit gestillt), jedoch: rund 45% der Kinder erhalten bereits in den ersten 3 Tagen künstliche Säuglingsnahrung
- Handlungsbedarf in der Ausbildung von Gesundheitsfachkräften, in der verstärkten Etablierung von Baby-friendly Hospitals und allgemein in der Förderung des ausschließlichen Stillens in den ersten Tagen und Wochen
In den vergangenen Jahren wurden weltweit mehrere Projekte initiiert, die eine gezielte regionale und überregionale Stillförderung ermöglichen sollten. Dazu werden zunächst Daten erhoben, die den Ist-Zustand evaluieren und mögliche Handlungsfelder identifizieren, die die Situation im jeweiligen Land verbessern sollen.
Auch im deutschsprachigen Raum wurden größere Kohorten-Studien durchgeführt, die in Teilen eine Aktualisierung und den Vergleich mit früher erhobenen Daten erlauben und zugleich auch Startschuss sein sollen für ein künftiges regelmäßiges Still-Monitoring.
Die österreichische Sukie-Studie, deren Ergebnisse im Juni 2021 veröffentlicht wurden, hat 2018 - 2020 Daten erhoben und dazu detailliert einen großen Teil der österreichischen Geburtskliniken befragt, sowie zusätzlich auch über 1.200 Mütter. Es ergibt sich ein umfassendes Bild mit einer Vielzahl von recht allgemeinen Erkenntnissen, aber auch einigen Detailinformationen, die wir für erwähnenswert halten.
1) Stillraten, Stilldauer, Geburtsmodus
Über 96% der Mütter beginnen direkt nach der Geburt mit dem Stillen, jedoch erhalten bereits rund 45% der Kinder innerhalb der ersten 3 Lebenstage zusätzliche Nahrung oder (selten) Wasser/ Tee/ Zuckerlösung o.ä. zusätzlich zum Stillen. Besonders gefährdet sind Kinder nach einer Sectio-Geburt (über 68% Zufütterung in den ersten Tagen).
Insgesamt stillen nur rund 30% der Frauen bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Beikosteinführung ausschließlich, mit 6 Monaten sind es sogar nur noch 2%. Erfreulicher ist, dass immerhin 64% der Kinder mit 6 Monaten noch teilgestillt werden, mit einem Jahr sind es noch rund 40%.
2) Konkrete Maßnahmen: Handlungsbedarf in der Fortbildung von Fachpersonal
Die Zahlen unter Punkt 1) zeigen: es wird in vielen Kliniken zu häufig, zu schnell und zu wenig begründet zugefüttert. Auch die Förderung des frühen Stillens nach der Geburt ist noch nicht ausreichend: während ca. 82% der Frauen ihr Kind in der ersten oder innerhalb der ersten beiden Lebensstunden anlegten, beschreiben immerhin insgesamt rund 15%, dass sie erstmals nach 3 oder mehr Stunden (teilweise bis zu 12 Stunden pp) ihr Kind stillten.
Das Bonding im Kreißsaal (ununterbrochener Hautkontakt für mindestens 1 Stunde) ist nur in ca. einem Drittel der Geburtskliniken bekannt bzw. wird dort umgesetzt. Ein weiteres Drittel ermöglicht den Hautkontakt "bis zum ersten Stillen", wobei unklar ist, ob dies in der Praxis eher eine kürzere oder eine längere Dauer als 1 Stunde bedeutet. Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die AWMF-Leitlinie sogar für den Fall einer Sectio-Entbindung klar vorgibt, dass der direkte Hautkontakt für mindestens eine Stunde zu ermöglichen ist (s. dazu unser → Artikel von 06/2020).
Wenn eine Zufütterung zum Einsatz kommt, verwenden über 35% der Kliniken eine Saugerflasche anstelle einer brustnahen/stillfreundlichen Zufütterungsmethode.
Bedenklich sind auch die Angaben zur empfohlenen Anlegefrequenz: nur 60% der Kliniken empfehlen den Müttern das Stillen nach Bedarf. Hingegen machen rund 30% noch immer feste Zeitvorgaben (25% geben 2 - 3 Stunden Stillabstand an, 5% sogar 3 - 4 Stunden).
55% der Kliniken geben an, über die Hälfte ihres Personals hätte eine mindestens 3-tägige Schulung speziell zum Stillen besucht. In Verbindung mit den obigen Aussagen zur Anlegefrequenz wird deutlich, dass eine einmalige Schulung nicht ausreicht, um Klinikroutinen nachhaltig zu verändern und dass eine Schulungskontinuität erforderlich ist.
Handlungsbedarf gibt es in jedem Fall: keine einzige Klinik gab an, dass über 80% ihres Personals zum Stillen geschult sind und in immerhin fast 27% der Kliniken beträgt der Anteil der zum Stillen geschulten Fachkräfte unter 25% (10 % geben sogar an, dass keine ihrer Mitarbeiter*innen zum Stillen fortgebildet sind).
Auch im späteren Verlauf innerhalb der nächsten Wochen und Monate benötigen Frauen gute Unterstützung zum Stillen. Leider sind noch immer viele Mythen/ Ammenmärchen nicht ausgeräumt: so geben z.B. 68% der Mütter an, dass sie in der Stillzeit weiterhin (wie für die Schwangerschaft in der Tat empfohlen) rohe tierische Lebensmittel meiden und beinahe ebenso viele vermeiden "blähende Lebensmittel" während der Stillzeit. Sogar säurehaltige Lebensmittel werden von immerhin 35% der Frauen gemieden – es zeigt sich hier für alle 3 Kategorien dringender Fortbildungsbedarf der betreuenden und begleitenden Fachkräfte im und nach dem Wochenbett.
Noch gravierender wirkt sich dies aus, wenn es um die Stilldauer geht: von den Frauen, die mit 4 Monaten komplett abstillten gaben 75% an, dass sie "zu wenig Milch" hätten, obwohl nur rund 16% zugleich angaben, dass das Kind zu wenig zugenommen hätte. Hier besteht also ein erhebliches Informationsdefizit über das normale Stillverhalten von Säuglingen und die Möglichkeiten, das gute Gedeihen zu beurteilen und im Bedarfsfall sicherzustellen.
3) Bilanz
Ein Ergebnis, das auch in vergleichbaren internationalen Studien schon mehrfach belegt wurde: Frauen, die in einer babyfreundlich zertifizierten Geburtsklinik entbunden hatten (derzeit 10 Stück in Österreich), stillten länger ausschließlich und Frauen, die sich insgesamt zum Stillen gut unterstützt fühlten, stillten grundsätzlich länger (sowohl ausschließliches als auch jegliches Stillen).
Insgesamt ist die Studie mit ihren detaillierten Fragestellungen an einigen Stellen sehr aufschlussreich und kann, wenn sie in Zukunft als regelmäßiges Stillmonitoring eingesetzt wird, sicher sinnvolle Maßnahmen anstoßen.
Der Endbericht zur Studie ist beim österreichischen Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz kostenlos zum → Download erhältlich (deutsch, verständliche Wortwahl für die Öffentlichkeit). Außerdem existiert eine entsprechende → wissenschaftliche Publikation (englisch, frei zugänglich) in der Fachzeitschrift Nutrients.
© Juni 2021, Anja Bier (IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC