Beeinflussung der Brustgesundheit durch Probiotika?
Anlage zum EISL-Newsletter November 2021
Ligilactobacillus salivarius PS2 Supplementation during Pregnancy and Lactation Prevents Mastitis: A Randomised Controlled Trial
Jiménez, E.; Manzano, S.; Schlembach, D.; Arciszewski, K.; Martin, R.; Ben Amor, K.; Roelofs, M.; Knol, J.; Rodríguez, J.M.; Abou-Dakn, M.; PREMIUM Study Group. Microorganisms. 2021; 9(9):1933. DOI: https://doi.org/10.3390/microorganisms9091933
Das wichtigste in Kürze:
- Dass auch die laktierende Brust ein individuelles Microbiom besitzt, ähnlich dem menschlichen Darm, ist bereits bekannt. Einige erste Studien zeigen, dass bei Beschwerden wie z.B. einer akuten oder subakuten Mastitis, auch die Einnahme von Probiotika zur Heilung beitragen können
- Vorsicht ist jedoch angezeigt, wenn nun Hersteller veröffentlichen, jede stillende Frau sollte präventiv Probiotika einnehmen, um eine "gesunde Stillzeit" erleben zu können – insbesondere, weil die dazu durchgeführten Studien bislang nicht ausreichend überzeugend sind
- Weiterhin gilt: gute Stillberatung ist notwendig und sinnvoll, um von Beginn an ein gutes Stillmanagement zu etablieren. Dies ist die effektivste und wichtigste Maßnahme zur Prävention von Stillproblemen, inklusive Milchstau und Mastitis
Die Forschung zum Thema Microbiom hat in den vergangenen Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen und wir verstehen mehr und mehr, welche wichtigen Zusammenhänge zwischen der Besiedelung mit (unschädlichen) Mikroorganismen und z.B. der menschlichen Darmgesundheit bestehen.
Auch die laktierende Brust ist keine keimfreie Umgebung, sondern es zeigt sich immer deutlicher, dass auch hier ein Microbiom Einfluss auf das Brustgewebe und die Muttermilch nimmt. Das Microbiom ist durch Umweltbedingungen und auch durch die Ernährung der Mutter in gewissen Teilen beeinflussbar, so dass sich hier Chancen ergeben.
In den letzten Jahren haben verschiedene Studien und Veröffentlichungen gezeigt, dass das gesunde Microbiom der Brust aus dem Gleichgewicht geraten kann, so dass eine sogenannte Dysbiose ensteht, die zu Beschwerden (Schmerzen, subakute und akute Mastitis und Anfälligkeit für verstopfte/überhäutete Milchgänge) führen kann. Dies kann Folge einer vorigen antibiotischen Behandlung sein, aber auch durch die Besiedelung mit MRSA-Keimen oder andere Erkrankungen der Mutter entstehen. Außerdem stellen Stillschwierigkeiten mit schlechtem Stillmanagement, wunden Mamillen und/oder starker Initialer Brustdrüsenschwellung ein Risiko dar.
Zum Thema subakute Mastitis lesen Sie weiter auf unserer Fachseite → Milchstau, Mastitis und Abszess
Zur Unterstützung einer Behandlung dieser Dysbiose wurden einige Probiotika in der Forschung als vielversprechend identifiziert – spezifische Stränge (Unterformen) von sogenannten Lactobacillen. Dazu gehören z.B. Lactobacillus fermentum CECT 5716, Lactobacillus salivarius CECT 5713 und Ligilactobacillus salivarius PS2.
Allerdings muss die Forschung dazu mit Vorsicht betrachtet werden, denn teilweise sind die Forschungsgruppen mit Herstellern assoziiert, die diese Probiotika als Produkte vermarkten möchten.
Beispielhaft zeigen wir an einer aktuellen Studie von E. Jimenez et al., dass die Ergebnisse einerseits einen gewissen Erfolg versprechen, aber auch diskutiert und kritisch betrachtet werden müssen:
Die randomisierte, gegen Placebo kontrollierte Studie mit 358 Probandinnen aus insgesamt 4 Ländern Europas (Spanien, Polen, Deutschland und Österreich), untersuchte, ob der prophylaktische Einsatz von Ligilactobacillus salivarius PS2 in der späten Schwangerschaft und in den ersten 3 Monaten postpartum das Risiko für eine Mastitis in der Stillzeit verringert.
Die Probandinnen nahmen dazu ab der 35. Schwangerschaftswoche bis 12 Wochen nach Geburt eine tägliche Dosis des Präparats (bzw. Placebos) ein. Während der 12 Wochen postpartum kamen die Mütter insgesamt 3 Mal zu einem Termin in die Geburtsklinik zurück, 2 Mal wurden sie zusätzlich per Telefoninterview befragt.
Wenn Probandinnen Anzeichen für eine Mastitis zeigten, wurden sie auf die vor Ort übliche Weise behandelt.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die stillenden Frauen der Placebogruppe ein signifikant höheres Risiko für die Entwicklung einer Mastitis hatten als die Frauen der Probiotikums-Gruppe. Die Studie erfüllt im Grundsatz einen hohen Qualitätsanspruch (doppelblind, randomisiert usw.) und somit könnten die Ergebnisse uns dazu verleiten, die prophylaktische Einnahme von probiotischen Präparaten nun als neuen Standard zu propagieren. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Punkten, die kritisch zu betrachten sind:
1) Erstaunlich niedrige Gesamt-Inzidenz an Mastitiden in der Studie
Die Autor:innen geben an, dass laut einer Schätzung der WHO die weltweite Inzidenz einer Mastitis bei ca. 10% - 30% aller stillenden Frauen liegt. Für Spanien, wo der größte Anteil der Probandinnen für die aktuelle Studie herkam, wird allgemein eine eher höhere Inzidenz beschrieben (24% - 41%). Im Vorfeld der Studie hatte die Forschungsgruppe daher mit einer Inzidenz von voraussichtlich rund 30% gerechnet.
Tatsächlich lag die Rate jedoch schließlich bei insgesamt 9,7%. Diese guten Werte werden von den Studienautor:innen auch selbst angemerkt, jedoch wird kein Versuch unternommen, den Grund für diese Besonderheit darzulegen. Es bleibt also unklar, woran es gelegen haben könnte, es gibt jedoch zwei mögliche Erklärungsversuche, die beide nicht durch die Autor:innen diskutiert werden:
a) Die Tatsache, dass alle Frauen insgesamt 3 Mal im Lauf der ersten 12 Wochen postpartum regelmäßig Kontakt zur sie betreuenden Klinik hatten (als Routine-Besuch) könnte eine mögliche Erklärung sein. Es ist leider aus den Ausführungen der Autor:innen nicht ersichtlich, was genau bei diesen Kontroll-Terminen mit den Frauen besprochen wurde, aber FALLS die Gespräche zumindest teilweise durch Hebammen/ Kinderkrankenpflegekräfte oder Gynäkolog:innen durchgeführt wurden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass in diesen kurzen "Nebengesprächen" auch Ermutigung und allgemeine Tipps zum Stillmanagement Platz fanden. Dies betrifft die Placebogruppe und die Interventionsgruppe gleichermaßen.
b) Es ist nicht ersichtlich, an welchen Kliniken die Studien konkret durchgeführt wurden, aus den Erläuterungen zu Genehmigung durch die örtlichen Ethikkommissionen kann man jedoch vermuten, dass die spanischen Proband:innen überwiegend am Hospital Clínico San Carlos (Madrid, Spain) betreut wurden. Diese Geburtsklinik ist nach UNICEF/BFHI babyfreundlich zertifiziert, es ist also zu erwarten, dass die Frauen dort eine bessere Stillunterstützung erhielten als normalerweise üblich. Auch die weiteren Ergebnisse der Studie sprechen für diese These: insgesamt rechneten die Forscher:innen in der Planung der Studie mit einer Rate von rund 20% Drop-out (z.B. dadurch, dass Frauen sich doch noch gegen das Stillen entschieden oder es frühzeitig beendeten). Tatsächlich beendeten jedoch nur knapp 6% das Stillen vorzeitig, was ebenfalls dafür spricht, dass die Proband:innen der Studie insgesamt gut unterstützt wurden.
2) Definition "Mastitis"
Es gibt bisher keine international gültigen standardisierten Verfahren, um eine Mastitis eindeutig zu diagnostizieren und z.B. von einem Milchstau abzugrenzen. Die Studien-Autor:innen entschieden sich, folgendermaßen vorzugehen: wenn eine Probandin mindestens 2 der folgenden 4 Symptome entwickelte, wurde dies als Mastitis klassifiziert und die entsprechende Behandlung eingeleitet:
- Schmerzen
- Rötung
- Schwellung
- Fieber >38° C
Damit wären also beispielsweise auch Frauen, die über eine lokale Rötung und Schwellung berichten würden, bereits in die Mastitis-Gruppe einsortiert, was zumindest im deutschsprachigen Raum eher nicht der gängigen Praxis entspricht. Für eine Diagnosestellung würde hier üblicherweise vor allem das Kriterium "Fieber" als wichtiges Merkmal gelten, und interessanterweise ist es gerade dieses Kriterium, das in der Studie auch den Autor:innen als erwähnenswert auffiel: von den Frauen der Interventionsgruppe, die nach den Studienkriterien eine "Mastitis" entwickelten, hatten knapp 45% kein Fieber. In der Placebogruppe lag dieser Wert bei knapp 73%, also deutlich höher.
Somit wären in der Placebogruppe wesentlich mehr Frauen vertreten, die wir u.U. eher mit der Diagnose "Milchstau" behandeln würden als mit der Diagnose "Mastitis". In diesem Fall verringert sich natürlich auch der Effekt, dass die Interventionsgruppe seltener an Mastitiden litt als die Placebogruppe (6% vs. 14%).
3) "Gießkannen-Prinzip" und Finanzierung der Studie
Für die Studie nahmen die Frauen ab der 35. Schwangerschaftswoche bis 12 Wochen postpartum täglich ein Präparat ein, das sind also rund 17 Wochen, in denen 100% der Frauen täglich etwas zu sich nehmen, um schließlich ca. 8% von ihnen (6% vs. 14%, s.o.) eine Mastitis während der Stillzeit zu ersparen (wobei ein Teil davon möglicherweise auch gar keine Mastitis, sondern ein Milchstau war).
Es klingt nach einem lukrativen Geschäft, wenn künftig alle Schwangeren "vorsichtshalber" über einen längeren Zeitraum ein entsprechendes Präparat einnehmen – abgesehen davon, dass die Studie zwar nach 12 Wochen pp endete, es aber ja nicht auszuschließen ist, dass Frauen das Präparat in der Praxis "vorsichtshalber" durchaus auch noch länger einnehmen würden. Es überrascht daher nicht, dass die Studie nicht nur von Danone Nutricia finanziert wurde, sondern das Studien-Design, die Auswertung und die Verfassung des veröffentlichten Textes zur Studie erfolgte überwiegend durch Angestellte von Danone Nutricia (Milupa, Aptamil, Neocate sind Marken dieser Firmengruppe).
Bereits seit einiger Zeit ist erkennbar, dass Säuglingsnahrungshersteller versuchen, auch stillende Mütter zu erreichen, indem sie beispielsweise "Energie-Riegel für die stillende Mutter" o.ä. vermarkten (z.B. ebenfalls von Danone/Aptamil: "Profutura"-Produkte für die stillende Mutter). Auf diese Weise etablieren sie sich als vertrauenswürdige Marke im Gedächtnis und wenn dann irgendwann Stillprobleme auftreten oder wenn die Beikosteinführung naht, können sie daran anknüpfen. Es steht zu erwarten, dass demnächst Produkte beworben werden, die Probiotika als prophylaktische Maßnahme für alle Schwangeren und stillenden Mütter empfehlen. Die Studie von E. Jimenez et al. wurde jedenfalls schon → marketingkonform aufbereitet.
4) Ethische Überlegungen
Die für das Präparat notwendigen Lactobacillen wurden laut Autor:innen der Studie aus humaner Milch gesunder Mütter gewonnen. Nun stellt sich die Frage, was das für die Massenproduktion bedeutet – woher kommt all die humane Milch, die dafür notwendig ist? Und würde diese Frauenmilch nicht an ganz anderer Stelle viel dringender gebraucht?
Das Problem ist bereits seit einiger Zeit bekannt, nachdem mehr und mehr Präparate aus humaner Frauenmilch gewonnen werden, die auch medizinisch für Säuglinge und sogar für erwachsene Patient:innen (z.B. bei Krebserkrankungen) Erfolge versprechen. Der Wunsch nach diesen Produkten ist verständlich, zugleich bedeutet dies in der Praxis, dass häufig Frauen aus ärmeren Ländern ihre Muttermilch an die Hersteller dieser Produkte verkaufen.
Wie wird sichergestellt, dass ihre eigenen Kinder, die die Muttermilch zuallererst in ausreichender Menge benötigen, nicht unter dieser Praxis leiden? Wie wird sichergestellt, dass ethische, medizinische und soziale Faktoren berücksichtigt werden und dass diese Frauen nicht aus einer Notlage heraus handeln? Wie ist gewährleistet, dass die z.B. für Frühgeborene dringend benötigte gespendete Frauenmilch dort nicht fehlt?
All dies sind keine Überlegungen, die spezifisch nur für das nun zu erwartende Produkt "Probiotika für die stillende Mutter" gelten, aber sie sollten eine Rolle spielen.
Die Studie von E. Jimenez et al. (englisch) ist vollständig und kostenfrei → hier verfügbar.
Was bedeutet das nun in Summe?
Grundsätzlich mehren sich die Anzeichen dafür, dass Probiotika die mütterliche Brustgesundheit durch die Beeinflussung des Microbioms verbessern können.
Daher kann es durchaus angezeigt sein, bei Beschwerden in bestimmten Fällen (z.B. bei häufig wiederkehrenden Milchstaus, einer subakuten Mastitis oder bei rezidivierenden Mastitiden) versuchsweise auch Probiotika einzusetzen. Allerdings ist die Datenlage dazu bisher noch immer unzureichend.
Für die rein präventive Anwendung spricht noch weniger.
Eine → Meta-Analyse der Cochrane Database von 2020 ergab übrigens, dass derzeit noch keine ausreichende Evidenz für die Überlegenheit von Probiotika gegenüber Placebo bei der Behandlung von Mastitiden vorhanden ist. Allerdings gilt dies auch für die Behandlung mit Antibiotika, Stillberatung und andere Maßnahmen, wie z.B. Akupunktur. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es noch zu wenige gute Studien zu diesem Thema gibt – sicher werden in den kommenden Jahren weitere Erkenntnisse dazu veröffentlicht.
© November 2021, Anja Bier (IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC