Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Das zu kurze Zungenband - ein Thema für die Stillberatung

Unsere Fachinformationen werden regelmäßig überprüft und ergänzt.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 11/2023

Fachliche Beratung:
Márta Guóth-Gumberger, IBCLC und A.Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall, IBCLC

Zungenbeweglichkeit ist der Schlüssel

Unsere Zunge erfüllt eine Vielzahl von Aufgaben, wenn es um unsere Ernährung und die Fähigkeit zu sprechen geht. Neben ihrer Aufgabe als Träger der Geschmacksknospen braucht sie eine hohe Beweglichkeit und besteht aus einer Kombination von verschiedenen Muskeln, die koordiniert zusammenarbeiten. Eine gesunde, voll funktionsfähige Zunge kann Nahrung sortieren, in Teile zerlegen, zusammenführen, im Mundraum hin- und hertransportieren und zum Schlucken in den Rachen führen.

Die Zunge ist entscheidend an der Koordination "Saugen - Schlucken - Atmen" beteiligt. Bei einem stillenden Säugling formt sie beim Saugvorgang eine Rinne, in der die Mamille eingebettet liegt. Sie steuert die Unterdruckbildung, indem sie im mittleren und hinteren Teil einen Wechsel aus Kompression und Entlastung sowie wellenförmige Bewegungen durchführt. Diese Funktionen ermöglichen im individuellen Zusammenspiel die effiziente Entleerung der Brust.

Als Ergänzung können Sie mehr über die Anatomie und Funktionsweise der Zunge lesen:

Das Zungenband

Unter der Zunge liegt das sogenannte Zungenband (lateinisch Frenulum linguae), das bei vielen Menschen sichtbar wird, wenn man die Zungenspitze in Richtung Gaumen hebt. Dieses Zungenband verbleibt nach der embryonalen Entwicklung als Überrest der körpermittigen "Naht". Auch wenn sich der Name Zungenband eingebürgert hat, handelt es sich nicht um ein dünnes „Band“, sondern um ein dünne oder dickere flächige Membran in der Symmetrieachse des Mundes, die im Normalfall die Funktion der Zunge nicht behindert.

In manchen Fällen reicht das Zungenband an der Zungenunterseite jedoch so weit nach vorne und/oder ist zu straff, so dass die Zungenspitze in ihrer Beweglichkeit massiv eingeschränkt wird (sog. anteriores zu kurzes Zungenband oder anteriore Ankyloglossie). In anderen Fällen sitzt es zwar weit genug hinten, ist aber so straff/kurz oder dick, dass die Zunge in der Mitte und im hinteren Bereich nicht angehoben werden kann (sog. posteriores zu kurzes Zungenband oder posteriore Ankyloglossie). In beiden Fällen ist die Funktionsfähigkeit der Zunge eingeschränkt, was zu verschiedenen Symptomen führen kann und in einigen Fällen eine erfolgreiche Stillbeziehung gefährdet.

  • Anteriores zu kurzes Zungenband © I. Dechant
  • Posteriores zu kurzes Zungenband © A. Hemmelmayr

Diagnostik und Therapie

Symptome eines zu kurzen Zungenbands:

Alle folgenden Symptome können einzeln oder in Kombination auftreten und ganz unterschiedliche Ursachen haben. Jedes Symptom für sich ist daher kein hinreichend gesicherter Hinweis auf ein zu kurzes Zungenband und bei keinem Baby mit einem zu kurzen Zungenband liegen alle Symptome gleichzeitig vor. Nur eine sorgfältige Beurteilung der Gesamtsituation in der Kombination aus Symptomen und Zungenbeweglichkeit erlaubt eine Diagnose.

Mögliche Verhaltensweisen beim Stillen:

  • Das Baby stillt extrem häufig oder auffällig selten
  • Es hat Schwierigkeiten, die Brust zu erfassen
  • Unruhiges Stillen, das Kind dockt häufig an und ab, scheint unzufrieden an der Brust
  • Das Baby kann teilweise den Saugschluss nicht halten, Schnalz-/Klick-Laute während des Stillens
  • Mundöffnung ist nicht vollständig möglich, das Kind kann die Brust nicht mit einem genügend weit geöffneten Mund erfassen
  • Das Baby verliert Milch im Mundwinkel, verschluckt sich häufig
  • Stillen gelingt nicht effizient, kaum Milchtransfer oder nur kurz feststellbar, das Baby ermüdet rasch

Mögliche Symptome an der Brust:

  • Schmerzen, anhaltend wunde Mamillen, häufig Verletzungen an der Mamillenspitze
  • Direkt nach dem Stillen: verformte, zusammengedrückte Mamillen
  • Vasospasmus-Symptome (stechende Schmerzen, weiße oder blau verfärbte Mamillen)
  • Anzeichen für ineffektives Stillen: Brust wird nicht ausreichend entleert, nach dem Stillen noch immer pralle Brüste, wiederholt Milchstaus/Mastitiden, manchmal Abszess

Mögliche Sonstige Symptome:

  • Der Gewichtsverlauf ist oft nicht perzentilenparallel, häufig kommt es zu einer schleichend schlechten Gewichtszunahme bereits ab Geburt oder im späteren Verlauf (nach einer anfangs normalen Gewichtszunahme für einige Wochen)
  • Zufütterung ist häufig notwendig, um die Gewichtszunahme zu sichern – in seltenen Fällen kann das Baby sich auch ohne Zufütterung perzentilenparallel entwickeln, wenn die Mutter eine sehr reichliche Milchbildung hat
  • An der Oberlippe des Kindes zeigen sich persistierende Saugbläschen, das Baby hat sehr häufig Blähungen oder Schluckauf
  • Auch an der Flasche zeigen sich ähnliche Muster wie beim Stillen, das Kind kann nicht konzentriert und/oder ausdauernd trinken
  • Das Baby kann an Flasche oder Schnuller den Unterdruck nicht halten
  • Bei der Beikosteinführung hat das Kind Schwierigkeiten mit dem Kauen und Schlucken, kann keine stückige Nahrung zu sich nehmen oder isst monatelang nur winzige Mengen
  • Längerfristig können Ess- und Schluckstörungen, Zahnfehlstellungen sowie Probleme bei der Aussprache auftreten

Márta Guóth-Gumberger, IBCLC und A.Univ-Prof. Dr. Daniela Karall, IBCLC haben gemeinsam einige "Checklisten" erarbeitet, die in der Beratung als Anamnesebögen für Verdachtsfälle dienen können und regelmäßig überarbeitet werden. (www.stillunterstuetzung.de)
Sie liegen in vier verschiedenen Versionen für das Wochenbett, Babys, ältere Kinder und Erwachsene vor – wir verlinken hier die Version für das Wochenbett und Babys.
Ebenfalls gibt es ein Vorab-Screening für Wochenbett und Baby/Kind, welches nach minimaler Einarbeitungszeit die Beurteilung ermöglicht ,ob es notwendig ist, das Baby an eine Fachkraft, die Erfahrung mit dem zu kurzen Zungenband hat, zu verweisen. Dieses ist in der Lakation & Stillen 2022 als Handot erschienen:

Überprüfung der Zungenbeweglichkeit

Um das Vorliegen eines zu kurzen Zungenbandes feststellen zu können, ist neben der Dokumentation von Symptomen bei Mutter und Kind auch die Beurteilung der Zungenbeweglichkeit nötig. Dazu eignet sich der Screening-Bogen zur Funktion des Zungenbandes, der HATLFF (Hazelbaker Assessment Tool for Lingual Frenulum Function). Dieser kann im englischen Original über die Webseite von Alison Hazelbaker kostenlos bestellt und anschließend heruntergeladen werden, außerdem steht er in einer autorisierten deutschen Übersetzung auf der Webseite von Márta Guoth-Gumberger, IBCLC, zur Verfügung:

Dr. Bobby Ghaheri aus Ohio, USA, ist im englischsprachigen Raum für seinen engagierten Einsatz rund um die Behandlung von Kindern mit Zungenband-Problematik bekannt. Das folgende Video stammt von ihm und erläutert seine Empfehlungen zur Untersuchung von Babys mit dem Verdacht auf ein zu kurzes Zungenband. Ein zusätzlicher, ausführlicher Artikel geht vertiefend auf weitere Aspekte der Untersuchungsmethode und der Positionierung des Babys ein. Dr. Ghaheris Untersuchungsmethode legt den Fokus auf die Anatomie des Zungenbands, nicht auf die Funktion der Zunge.

Catherine Watson Genna, IBCLC aus New York, USA, ist als Expertin und Autorin verschiedener Bücher über den englischsprachigen Raum hinaus bekannt. Ihre Webseite bietet eine bebilderte Anleitung für Eltern, um bei einem Verdacht auf ein zu kurzes Zungenband zu entscheiden, ob sie eine genauere Untersuchung der Zungenbeweglichkeit durch eine Fachkraft benötigen. Ihre Ausführungen sind auch für Fachpersonal hilfreich:

Eine umfassende Untersuchung der Zungenbeweglichkeit ist im normalen Beratungsalltag nicht immer zu leisten. Es kann daher sinnvoll sein, die Klientin an eine erfahrene Kollegin oder Expertin zum Thema Zungendiagnostik zu überweisen.

Therapie

Ein zu kurzes Zungenband, das sich sowohl durch Symptome bei Mutter und/oder Kind bemerkbar macht, als auch durch eine Überprüfung der Zungenbeweglichkeit und eine optische Diagnostik (evtl. mit Fotos/ Video) gesichert wurde, sollte chirurgisch gelöst werden. Der Eingriff selbst dauert nur wenige Sekunden und wird im Säuglingsalter üblicherweise ohne Narkose, eventuell unter Einsatz von kurzzeitig lokal betäubenden Mitteln, ambulant durchgeführt.

Grundsätzlich kann der Eingriff von Kinderärzten, (Kinder-)Zahnärzten, Chirurgen und und anderen Ärzten, die in der Behandlung des zu kurzen Zungenbandes erfahren sind, durchgeführt werden. Es ist wichtig, dass diese fundiertes Wissen über die Funktion und Bedeutung der Zungenbeweglichkeit, insbesondere für das Stillen, besitzen und mit einer erfahrenen Still- und Laktationsberaterin IBCLC zusammenarbeiten. Das Lösen des Zungenbands kann mit Hilfe einer Schere oder unter Einsatz eines Lasers erfolgen.

Sowohl in der Zeit vor als auch nach dem Eingriff sollte die betroffene Mutter-Kind-Dyade von einer IBCLC und ggf. weiteren Stillberaterinnen (z.B. in Form einer Stillgruppe) begleitet werden. Das generelle Stillmanagement und das Anlegen eines Kindes mit Zungenbandproblematik benötigen intensive Aufmerksamkeit, zudem haben die betroffenen Mütter häufig Schmerzen und wunde Mamillen, die adäquat behandelt werden sollten (siehe hierzu auch unsere Fachseite → Wunde Mamillen). Auch zu den Themen Pumpmanagement, Zufütterungsmethoden und -mengen sowie Gewichtsentwicklung des Babys benötigen betroffene Eltern fachkundige Beratung.

Immer wieder gibt es um die Beurteilung und Behandlung von zu kurzen Zungenbändern kontroverse Diskussionen. In unserem 12/2021 veröffentlichten EISL-Statement nehmen wir Stellung zu diesen Fragen und verdeutlichen, wie wichtig eine gute, umfassende und professionelle Stillberatung in diesem Kontext ist. Das Statement wurde im Oktober 2023 aktualisiert:

  • Frenotomie-Besteck © Holtex
  • Frenotomie © Paul Thomas

Vertiefendes Informationsmaterial für Fachpersonal

Das Bewusstsein für die mögliche Problematik eines zu kurzen Zungenbands ist in den englischsprachigen Ländern in den letzten Jahren deutlich angestiegen und es gibt verschiedene frei zugängliche Informationsseiten von engagierten und renommierten Still- und LaktationsberaterInnen und/oder ÄrztInnen. Auch Interessengruppen zur Stillförderung kümmern sich seit einiger Zeit um das Thema und bieten für Betroffene und ratsuchendes Fachpersonal hilfreiche Materialien an.

Im deutschsprachigen Raum gibt es bisher nur wenige frei erhältliche Informationen, die Liste wird aber stetig erweitert und ergänzt.

Deutschsprachige Informationen zum Thema Zungenband

Márta Guóth-Gumberger, IBCLC und A.Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall, IBCLC haben gemeinsam eine dreiteilige Artikel-Serie zum Thema „Zu kurzes Zungenband“ veröffentlicht, die im open access Verfahren veröffentlicht wurde.

Zusätzliche Literatur in gedruckter Form:

• M. Furtenbach/ I. Adamer: "Myofunktionelle Therapie KOMPAKT II: Diagnostik und Therapie. Ein Denk- und Arbeitsbuch". Praesens Verlag, 2016

• M. Guóth-Gumberger: "Gewichtsverlauf und Stillen – Dokumentieren, Begleiten, Beurteilen". Mabuse Verlag, Neuauflage 2018 enthält Informationen zum zu kurzen Zungenband

Englischsprachige Informationen zum Thema Zungenband

STUDIEN

ARTIKEL FÜR FACHPERSONAL

MULTIMEDIA und ANDERE INFORMATIONSQUELLEN

  • Verdecktes posteriores zu kurzes Zungenband, Mund kann nicht weit geöffnet werden © M. Guóth-Gumberger
  • Ritzer Helene ©R. Grill (14)
    Zufütterung an der Brust mit BES erhält das Stillen bis zur Therapie und unterstützt anschließend das Erlernen des korrekten Saugens © R. Grill

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